Auricher Regentenporträts: Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft – Auricher Schloss
Der älteste Sohn des Grafen Edzard II., ein leiblicher Vetter des Königs Gustaf II. Adolf von Schweden, soll nach allgemeiner Aussage heiteren Gemütes gewesen sein, dem die Gabe zugefallen war, mit Menschen aller Schichten sprechen zu können. Seine Liebe galt den wilden Pferden auf Juist, und er war auch als letzter im Herrscherhaus der friesischen Sprache mächtig, die im Harlingerland noch von älteren Leuten beherrscht wurde.
Enno heiratete 1581 noch nicht achtzehnjährig die um acht Jahre ältere Gräfin Walburg von Rietberg, mit welcher man ihn schon 1577 verlobt hatte. Mit dieser Vermählung endete ein altes Trauma des Hauses Cirksena: Walburg war als Großnichte des Balthasar von Esens die Erbin des Harlingerlandes, so daß dessen Vereinigung mit der Grafschaft Ostfriesland bevorzustehen schien. In der Tat bezog Enno seine Residenz in Esens und war damit formal unabhängig von seinem Vater Edzard II. 1586 aber starb die Gräfin Walburg mit ihrem eben geborenen Sohn Johann Edzard. Sie hinterließ zwei Töchter, welche Enno 1600 im Berumer Vergleich abfand, so daß das Harlingerland – offiziell ein Lehen vom Herzogtum Geldern – ein besonderer Teil der Herrschaft der Cirksena blieb.
Solange Graf Edzard II. regierte, hielt Enno sich im Hintergrund, wiewohl Ubbo Emmius ihn für jenes bösen Geist hielt. Er übernahm kleinere Aufgaben, mischte sich aber nicht erkennbar in die schwierigen Verhältnisse der väterlichen Auseinandersetzungen mit der Stadt Emden. 1598 heiratete er in zweiter Ehe die Herzogin Anna zu Schleswig und Holstein.
Nach dem Antritt der Regierung 1599 bemühte sich Enno um einen Ausgleich mit den Landständen und der Stadt Emden, als dessen Ergebnis im Herbst dieses Jahres die Emder Konkordate verabredet wurden. Eigentlich hatte Enno damit eine tragfähige Basis erreicht, von der aus er mit Geduld und Kunst seine Herrschaft hätte festigen können. Doch das Erbübel seiner Familie, die Finanznot, ließ ihn zu früh eine allgemeine Haussteuer aus dem Lande fordern. Für viele sparsame Ostfriesen, namentlich in Amt und Stadt Norden, war das ein Ärgernis; für die Mehrzahl der Bürger von Emden ein rotes Tuch. Beiderseits blind stolperte man in eine bewaffnete Auseinandersetzung. Enno bot Söldner auf und ließ in Logum vor den Toren Emdens eine Schanze errichten, von welcher aus er den Schiffsverkehr der Stadt unterbinden konnte; diese ihrerseits rief die Vereinigten Niederlande um Hilfe an mit dem Ergebnis, daß deren Truppen 1602 zwar des Grafen Soldaten aus dem Felde schlugen, von da ab aber als ständige Besatzungsmacht bis 1744 in Emdens Mauern blieben, was unendliche Auseinandersetzungen in der ostfriesischen Geschichte heraufgeführt hat. Übrigens räumte Enno in seiner Verzweiflung den Niederländern selber 1611 die Festung Leerort zur dauernden Besatzung ein.
Der Erfolg einer zehnjährigen Regierung in Ostfriesland war für Enno also, daß das Ländchen gänzlich dem Einfluß der durch den Waffenstillstand mit Spanien gestärkten Vereinigten Niederlande unterlag. Der Osterhusische Akkord von 1611 ist nur der vorläufige Schluß dieser Entwicklung, und in klarer Erkenntnis dieser Tatsache beantragte Graf Enno 1615 die Aufnahme der Grafschaft Ostfriesland in die Niederlande bei den Landständen, welche ablehnten. Ob man im Haag dem zugestimmt hätte, muß fraglich bleiben.
Der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 1618 berührte vorerst Ostfriesland nicht, das direkt ja nie einbezogen worden ist. Dafür wurde das Land um so härter als auszubeutendes Winterquartier getroffen, und es war Ennos Schicksal, den Kelch der ersten großen Räuberei dieser Art ganz leeren zu müssen. Aus dem Satellitenverhältnis zu den Vereinigten Niederlanden ergab sich, daß diese dem von ihnen unterhaltenen Söldnerführer Ernst von Mansfeld 1621 Ostfriesland als Aufenthaltsort anwiesen. Wehrlos mußte das Ländchen unendliche Greuel erdulden; der Name „Mansfelder“ blieb ein Schreckensruf über Generationen.
Enno saß hilflos, nahezu gefangen in der Burg zu Esens. Dort stahl ihm Mansfeld die 300 000 Taler, die als Abfindung an seinen Schwiegersohn Gundakar von Liechtenstein in Fässern verpackt bereit lagen, und deren Verlust, da sie niemals ersetzt wurden, Ennos Nachkommen viel Pein bereitet hat. Nach dem Abzug der Mansfelder aus dem ausgesogenen Ostfriesland traf Enno als letzter Schlag die Fastnachts-Sturmflut des Jahres 1625, so daß seine Regierungszeit, die er so hoffnungsvoll begonnen hatte, in einem tiefen Abgrund endete.
Walter Deeters
Der Bruder: Johann der Jüngere (1566-1625)
Johann, einer der jüngeren Brüder des Grafen Enno III., trat noch zu Lebzeiten seines Vaters Graf Edzard II. zum katholischen Bekenntnis zurück, wohl in Hoffnung auf eine bessere Versorgung in habsburgischen Diensten. Als im Berumer Vergleich 1600 Graf Enno III. seine älteste Tochter Sabina Catharina mit der Grafschaft Rietberg abfand, heiratete sie Johann ein Jahr später nach eingeholtem päpstlichem Dispens, den er sich in Rom von Papst Clemens VIII. verschafft hatte.
Damit begründete Johann eine katholische Nebenlinie des Hauses Cirksena in der westfälischen Grafschaft Rietberg, einem kleinen Ländchen am Oberlauf der Ems, die von der Landgrafschaft Hessen lehnsabhängig war. 1602 wurde Johann kaiserlicher Oberst, später spanischer General. 1604 half er dem Bischof Dietrich von Paderborn, seine evangelisch gewordene Bischofsstadt mit Waffengewalt zu unterwerfen, und hinderte nicht die gegen die Protestanten begangenen Grausamkeiten. Dennoch bewilligten die ostfriesischen Landstände 1606 ihm die von seinem Bruder Enno zugesagte Abfindung.
Johanns männliche Nachkommen regierten die Grafschaft Rietberg bis zu ihrem Aussterben 1690. Danach fiel sie durch die Heirat der letzten Erbin an die böhmischen Grafen von Kaunitz. Diese Herkunft mütterlicherseits veranlaßte den österreichischen Staatskanzler Fürst Wenzel von Kaunitz, im Siebenjährigen Krieg als persönliche Kriegsbeute das mittlerweile preußisch gewordene Ostfriesland für sich vorzusehen.
Walter Deeters