• Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) - Porträt im Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft (18. Jahrhundert)

Carl Edzard (1716-1744)

1734-1744 Fürst von Ostfriesland

Porträt im Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft

Dem letzten Fürsten von Ostfriesland aus dem Hause Cirksena – sozusagen als sein Charakteristikum – allein geistige Unbeweglichkeit, ja eine gewisse Infantilität und genetische Defizite als Folge eines mehrfachen Ahnenschwundes zu attestieren, damit auch seinen frühen und rätselhaften Tod zu erklären, vielleicht gar zu rechtfertigen, hieße sicher, einer überaus tragischen Figur nicht gerecht zu werden. Ignoriert doch dieses in der ostfriesischen Geschichtsforschung weit verbreitete Urteil Ausbildung, Chancen und Möglichkeiten des jungen Prinzen und vor allem die politischen Gegebenheiten Ostfrieslands im beginnenden 18. Jahrhundert.

Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) als Kleinkind - Kinderporträt im Besitz der Ostfriesischen Landschaft (vor 1719)
Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) als Kleinkind – Kinderporträt im Besitz der Ostfriesischen Landschaft (vor 1719)
Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) im Alter von etwa 3 Jahren - Kinderporträt im Besitz des Lippischen Landesmuseums Detmold (1719)
Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) im Alter von etwa 3 Jahren – Kinderporträt im Besitz des Lippischen Landesmuseums Detmold (1719)
Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) im Alter von etwa 4 bis 6 Jahren - Kinderporträt im Besitz des Lippischen Landesmuseums Detmold (um 1720-1722?)
Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) – Kinderporträt im Besitz des Lippischen Landesmuseums Detmold (um 1728?)
Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) im Alter von etwa 5 Jahren als Husar - Kinderporträt im Besitz des Thüringer Landesmuseums Heidecksburg, Rudolstadt (H. L. Eyben, 1721)
Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) im Alter von etwa 5 Jahren als Husar – Kinderporträt (H. L. Eyben, 1721. Copyright: Thüringer Landesmuseum Heidecksburg, Rudolstadt. Foto: Foto-Loesche)

 

Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) - Porträt im Besitz des Thüringer Landesmuseums Heidecksburg, Rudolstadt (H. L. Eyben, 1730-1734)
Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) – Jugendporträt im Besitz des Thüringer Landesmuseums Heidecksburg, Rudolstadt (H. L. Eyben, 1730-1734. Copyright: Thüringer Landesmuseums Heidecksburg, Rudolstadt. Foto: Foto-Loesche)

Carl Edzard wurde als viertes Kind des regierenden Fürsten Georg Albrecht und der Christine Louise, einer geborenen Prinzessin von Nassau-Idstein, auf der Burg in Aurich geboren. Alle drei Geschwister starben bereits vor dem Erreichen des ersten Lebensjahres. Im Alter von nicht einmal sieben Jahren verlor Carl Edzard seine Mutter, und er erhielt ein halbes Jahr später eine nur neun Jahre ältere Stiefmutter. Die Angst des religiös übersteigerten Vaters vor dem Erlöschen seines Geschlechts ließ den Sohn in einer Atmosphäre von Bigotterie und asketischer Frömmigkeit aufwachsen, die dem Kind keinerlei Freiräume und Möglichkeiten zu Selbstentwicklung ließ. Bereits die ersten väterlichen Anweisungen an den Hofmeister des Prinzen, den späteren Minister von Langeln, machten deutlich, daß man die Kindheit des Sechsjährigen zu diesem Zeitpunkt als beendet betrachtete. Jede Stunde, jeder Tag, jede Woche wurde durch einen exakt einzuhaltenden Stundenplan dem Prinzen fortan vorgeschrieben. Das Kind mit römischem Recht, mittelalterlicher Herrschaftsgeschichte und Französisch und immer wieder mit Bibellesen und religiösen Texten zu traktieren, erschien nicht nur dem Vater völlig normal, sondern entsprach den Prinzipien barocker Fürstenausbildung. Geradezu symptomatisch für diese Art der Erziehung war die Tatsache, daß später dem fast Achtzehnjährigen auch die kurzen Zeiten der Erholung, die Stunden des Ausritts und des Spaziergangs, terminlich exakt vorgegeben waren. Daß diese Art der Bildung wenig intelligenzfördernd war und kaum zu einem freien Geist erzog, ist leicht nachvollziehbar. Kaum verwunderlich auch, daß Hofmeister und Lehrer eine gewisse Unlust, ja Abneigung gegen den Lehrstoff und ihre Lehrmethoden bei ihrem Schüler feststellen mußten. Hinzu kam auch eine körperliche Unbeweglichkeit. Carl Edzard war nicht nur eine überdurchschnittlich große, sondern auch reichlich korpulente Erscheinung, was allerdings durchaus dem ästhetischen Zeitgeschmack entsprach.

Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) - Porträt im Besitz der Ostfriesischen Landschaft (18. Jahrhundert)
Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) – Porträt im Besitz der Ostfriesischen Landschaft (18. Jh.)

Für eine sonst übliche Kavaliersreise oder gar ein kurzes Studium blieb dem Erbprinzen keine Zeit. Auch eine militärische Ausbildung hatte Carl Edzard, obwohl von seinem Vater schon mit zehn Jahren zum Obristen und Chef der kleinen fürstlichen Miliz ernannt, nicht genossen. Außer den Hof in Aurich, vielleicht noch das Jagdschloß in Sandhorst und die fürstliche Burg Berum lernte der junge Mann nichts kennen. Selbst als regierender Fürst war er nur zu kurzen Verwandtenbesuchen und zur Kur außerhalb seines Landes. Er hat auch nicht einmal die größte Stadt seines Territoriums, das eigenwillige Emden, betreten, sondern nur von außen betrachten können.

Noch vor seinem 18. Geburtstag erlitt der Vater, schon längere Zeit schwer krank, einen Schlaganfall. In Erwartung des Ablebens des Regenten trafen die Familie und der Hof Vorbereitungen zu einer schnellen Heirat. Vermutlich seine Stiefmutter hatte ihm schon vorher die Tochter ihrer ältesten Schwester, die Prinzessin Sophie Wilhelmine von Brandenburg-Kulmbach-Bayreuth ausgesucht und die Verlobung des gerade Sechzehnjährigen mit der zwei Jahre älteren Verwandten arrangiert. Am 25. Mai 1734 wurde auf der Burg Berum die Eheschließung des Prinzen mit der resoluten und ihrem Gatten wohl auch an geistigen Qualitäten überlegenen süddeutschen Prinzessin vollzogen. Drei Wochen später, am 12. Juni 1734, verstarb der Vater und Carl Edzard wurde Landesherr von Ostfriesland, ohne eigentlich auf diese Aufgabe vorbereitet zu sein. Dabei hätte es gerade bei den komplizierten politischen Landesverhältnissen eines erfahrenen und intelligenten Regenten bedurft.

Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) - Porträt in Privatbesitz, Weener (18. Jahrhundert)
Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) – Porträt in Privatbesitz, Weener (18. Jh.)

Zwar hatte Carl Edzard nominell mit dem Tode des Vaters den Fürstenhut erhalten, eine Rolle sollte er jedoch in der ostfriesischen Geschichte allenfalls durch seinen Tod spielen. Sein nur mäßiges Ansehen und die geringe Bedeutung, die man ihm zumaß, manifestierte sich in der Haltung der Stadt Emden und anderer „renitenter“ Teile der Landstände, die ihm schlichtweg die Huldigung verweigerten. Ob er überhaupt in irgendeiner Form an der Politik und der Verwaltung des Landes beteiligt war, muß bezweifelt werden. Nach dem Tode Brenneysens, des Kanzlers seines Vaters, der seinem Landesherrn nur wenige Tage später in den Tod nachgefolgt war, wurde der Geheime Rat und Hofmarschall Johann Philipp von Langeln, Carl Edzards ehemaliger Hofmeister, – und das ist auch bezeichnend für das Verhältnis – erster fürstlicher Minister. Langeln war ein überaus arbeitsamer, korrekter und honoriger Beamter, zeigte sich aber der landständischen Opposition nicht gewachsen. Auch wenn Tileman Dothias Wiarda die Person des Fürsten in seiner „Ostfriesischen Geschichte“ mehrfach namentlich erwähnt, hauptsächlich im Zusammenhang mit diesen Auseinandersetzungen, so meinte er doch sicher eher die Institution der Landesherrschaft in der Person des Fürsten.

Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) - Porträt im Besitz der Ostfriesischen Landschaft (18. Jahrhundert)
Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) – Porträt im Besitz der Ostfriesischen Landschaft (18. Jh.)

Als schwacher Landesherr mußte Carl Edzard Widersacher geradezu auf sich ziehen: Preußen, dessen Anspruch auf Ostfriesland schon aus dem Jahre 1681 resultierte und das nun die Chance zur Einverleibung des Küstenstaats sah, die Stadt Emden, weil sie nach einer umfassenden Selbstständigkeit strebte, und letztendlich den Syndikus der Landstände und Führer des Widerstandes, Sebastian A. Homfeld, ein ehrgeiziger Kopf, ohne jeden politischen Skrupel, der sich persönliche Vorteile erhoffte und vielleicht gar die Krone des preußischen „Vizekönigs von Ostfrieslands“ vor sich schimmern sah. Ihnen allen war der jugendliche Carl Edzard kein ebenbürtiger Gegner. Seine Kontrahenten hatten bereits lange vor seinem überraschenden Tode am 25. Mai 1744 ein Ostfriesland ohne das Haus Cirksena geplant. Ob sein schnelles Ableben wirklich nur ein Zufall war oder aber von interessierter Seite zumindest nachgeholfen wurde, ist nicht mehr aufklärbar. Auf jeden Fall starb Carl Edzard, vier Tage nachdem seine Gemahlin, Fürstin Sophie Wilhelmine eine Fehlgeburt hatte und damit die Hoffnungen auf einen Erben und Nachfolger zunächst dahin waren, im Alter von gerade 28 Jahren.

Carl Edzard besaß nicht die Qualitäten und Fähigkeiten seines Vaters, eines typisch barocken Fürsten mit absolutistischem Gehabe, er war – so beschreiben ihn Zeitgenossen – eher von schlichter Art, bescheiden in seinen Ansprüchen, dabei hilflos ohne seine Berater und den Ränken der Politik gnadenlos ausgeliefert. Er war ein Kind ohne Kindheit, ein Landesherr ohne Macht, ohne adäquate Ausbildung, und was ihm vielleicht selbst bewußt war, von seinen Feinden schon früh dazu verurteilt, möglichst bald von der politischen Bühne abzutreten. Er war, um es prosaisch auszudrücken, sicher eine der unglücklichsten Figuren der ostfriesischen Geschichte.

Stefan Pötzsch

Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) - Ausschnitt aus: Carl Köhl: Die Grafen und Fürsten von Ostfriesland und Harlingerland (1844) - Lithographie im Besitz der Ostfriesischen Landschaft
Carl Edzard (Fürst von Ostfriesland) – Ausschnitt aus: Carl Köhl: Die Grafen und Fürsten von Ostfriesland und Harlingerland (1844) – Lithographie im Besitz der Ostfriesischen Landschaft

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Carl Edzard und Sophie Wilhelmine (Fürst und Fürstin von Ostfriesland) - Kupferstich im Besitz der Gesellschaft für Bildende Kunst und Vaterländische Altertümer Emden (C. Fritzsch nach H. L. Eyben, 1738)
Carl Edzard und Sophie Wilhelmine (Fürst und Fürstin von Ostfriesland) – Kupferstich im Besitz der Gesellschaft für Bildende Kunst und Vaterländische Altertümer Emden (C. Fritzsch nach H. L. Eyben, 1738. Quelle: Ostfriesisches Landesmuseum Emden)

Weitere Regentinnen und Regenten des Hauses Cirksena

  • Georg Albrecht (Fürst von Ostfriesland) - Porträt im Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft (undatiert)

    Georg Albrecht (1690-1734)

    Nach Jahren heftiger Streitigkeiten zwischen der Stadt Emden und den ostfriesischen Landständen einerseits und dem Fürsten Georg Christian bzw. seiner Witwe Christine Charlotte, geb. Herzogin von Württemberg andererseits brachte der Regierungsantritt des Fürsten Christian Eberhard einen lang ersehnten Frieden. Dieser Friede stand jedoch auf unsicheren Füßen.

    Georg Christian (Fürst von Ostfriesland) - Porträt im Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft (undatiert)

    Georg Christian (1634-1665)

    Georg Christian, zweiter Sohn von Graf Ulrich II. und Juliane, Landgräfin von Hessen, wuchs in enger Gemeinschaft mit seinem jüngeren Bruder Edzard Ferdinand am Hof in Aurich auf. Gemeinsam mit ihm erhielt er auch ab 1649 seine Erziehung an den Akademien von Breda und Tübingen.

  • Enno Ludwig (Fürst von Ostfriesland) - Porträt im Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft (undatiert)

    Enno Ludwig (1632-1660)

    Der Erstgeborene des Grafen Ulrich II. von Ostfriesland wuchs in den Nöten des Dreißigjährigen Krieges auf. Frühzeitig sorgten die Eltern dafür, ihn daraus zu entfernen und in die sicheren Niederlande zu schicken, die damals das kulturelle Zentrum Europas waren.

    Juliane (Gräfin von Ostfriesland) - Porträt im Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft (Kopie aus dem 19. Jahrhundert)

    Juliane (1606-1659)

    Als im Dreißigjährigen Krieg der Graf von Ostfriesland kurze Zeit Herr seiner selbst war, heiratete Ulrich II. im März 1631 die Landgräfin Juliane von Hessen aus der Darmstädter Linie. Damit griffen die Cirksena zum ersten Mal mit ihren Heiratsbeziehungen nach Süddeutschland aus.

    Ulrich II. (Graf von Ostfriesland) - Porträt im Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft (Kopie aus dem 19. Jahrhundert)

    Ulrich II. (1605-1648)

    Völlig unvorbereitet – die übliche Kavalierstour durch Frankreich und England hatte keine Spuren hinterlassen – mußte der 23jährige Ulrich die Herrschaft in Ostfriesland antreten, nachdem sein Bruder Graf Rudolf Christian unerwartet gestorben war.

    Rudolf Christian (Graf von Ostfriesland) - Porträt im Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft (undatiert)

    Rudolf Christian (1602-1628)

    Den Jungverstorbenen gilt die Sympathie der Geschichte, zumal wenn sie vor ihren ersten Fehlern verschieden sind. Rudolf Christian hatte bei dem Antritt der Regierung für sich seine Jugend und die augenblickliche Freiheit Ostfrieslands von Besetzung.

  • Enno III. (Graf von Ostfriesland) - Porträt im Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft (18. Jahrhundert?)

    Enno III. (1563-1625)

    Der älteste Sohn des Grafen Edzard II., ein leiblicher Vetter des Königs Gustaf II. Adolf von Schweden, soll nach allgemeiner Aussage heiteren Gemütes gewesen sein, dem die Gabe zugefallen war, mit Menschen aller Schichten sprechen zu können.

    Anna (Gräfin von Ostfriesland) - Porträt im Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft (18. Jahrhundert?)

    Anna (um 1500-1575)

    Neben den bekannten Cirksena-Grafen Edzard I. und Enno II. gehört die Gräfin Anna von Ostfriesland als Vormundschaftsregentin in die Reihe der Herrscherinnen, deren Regentschaft als eher unspektakulär zu bezeichnen ist.

    Enno II. (Graf von Ostfriesland) - Porträt im Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft (Kopie aus dem 19. Jahrhundert)

    Enno II. (1505-1540)

    Enno leidet in der Beurteilung bis heute darunter, daß er der Person des Grafen Edzard I. als Sohn und Nachfolger nicht gleichkam. War es Unfähigkeit oder Schicksal? Alles deutet darauf hin, daß diese Frage mit dem ersten Wort beantwortet werden muß.

  • Enno I. (Graf von Ostfriesland) - Porträt im Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft (undatiert)

    Enno I. (um 1460-1491)

    Der älteste Sohn des Grafen Ulrich I. von Ostfriesland übernahm in den Jahren nach 1480 mehr und mehr Regierungsaufgaben von seiner Mutter, der Gräfin Theda. Eine förmliche Regierungsübernahme fand nicht statt.

    Theda (Gräfin von Ostfriesland) - Porträt im Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft (18. Jahrhundert?)

    Theda (1432-1494)

    Theda war die Erbin und Enkelin des Häuptlings Focko Ukena und brachte dessen Besitz in die Ehe mit Ulrich Cirksena ein. Ihre Stunde schlug, als dieser unvermutet am 27. September 1466 starb und sie mit sechs unmündigen Kindern allein ließ.