Auricher Regentenporträts: Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft – Auricher Schloss
In allen Überlieferungen bleibt das Bild des Grafen Edzard merkwürdig schattenhaft: Er ist nicht gerade eine Unperson, aber es ist nichts Eigenes von ihm bekannt. Viel zu lange war er der Sohn seiner Mutter, der Gräfin Anna, und danach hörte er wohl zuviel auf seine Gemahlin. Das 16. Jahrhundert ist das wichtigste Saeculum in der ostfriesischen Geschichte mit dem Höhepunkt 1595; man kann nicht sagen, daß Edzard durch irgendwelche Ideen oder Entscheidungen zu dieser Epoche beigetragen hätte. Die Ereignisse liefen an ihm vorbei.
Mit acht Jahren verlor Edzard seinen Vater. Wir wissen nicht, ob und wie das seine Persönlichkeit beeinflußt hat. Der junge Graf soll ein stattlicher Kavalier gewesen sein. Gehorsam ging er auf die ihm verschriebene Heirat ein. Sie gehört zu den ersten Versuchen des schwedischen Königs Gustaf I. aus dem Hause Wasa, nach der Abschüttelung der dänischen Herrschaft im Innern sein Königreich aus der äußeren Abhängigkeit von Dänemark zu lösen, das Schweden weitgehend den Zugang zum Ozean verwehrte. Ostfriesland war für den schwedischen Monarchen eine Außenbastion fern dem dänischen Einfluß, wo man dem Erzfeind zuvorkommen konnte. Nach damals üblicher Sitte schloß er nicht nur einen Handelsvertrag mit der kleinen Grafschaft, sondern untermauerte diesen durch eine Heirat seiner Tochter Catharina mit dessen künftigem Landesherrn.
Nie wieder hat ein Graf von Ostfriesland eine Königstochter geehelicht, niemals mehr so über seinen Stand geheiratet. Edzard reiste 1558 mit seinem Bruder Johann nach Stockholm, wo dieser in peinlichster Form auffiel, was wohl den Grund für den späteren Haß zwischen den beiden legte. Am 1. Oktober 1558 fand die Hochzeit Edzards statt, der mit seiner jungen Frau erst 1561 nach Ostfriesland zurückkehrte.
Nahezu dreißigjährig war Edzard unfähig, sich gegen seine Mutter durchzusetzen, die mit Macht danach strebte, Edzards Brüdern Christoph und Johann entgegen dem Erstgeburtsrecht einen Anteil an der Grafschaft Ostfriesland zu verschaffen. Christoph starb 1566 im Türkenkrieg; die Auseinandersetzung mit Johann führte zu einer praktischen Teilung des Landes, welche Edzard, frei nach dem Tode der Mutter 1575, nicht zu verhindern wußte.
Daß in diesen Jahrzehnten in den Niederlanden Weltgeschichte gemacht wurde, daß der größte Ort in Ostfriesland, nämlich Emden, dadurch einen kometenhaften Aufstieg erfuhr, daß sich damit das Verhältnis der immer selbstbewußteren Emder Bürgerschaft zu ihrem Landesherrn änderte: Alles dieses begriff Edzard nicht. Ebensowenig verstand er es, der steigenden Verschuldung Herr zu werden, so daß er immer öfter die ostfriesischen Landstände um Hilfe angehen mußte. So stolperte er in die Katastrophe der Cirksena, welche die Emder Revolution im Jahre 1595 für sie bedeutete, die er noch nicht einmal mit militärischer Gewalt unterdrücken konnte.
Diese offenkundige Machtlosigkeit ist auch der Grund für den endgültigen Verlust des Jeverlandes an Oldenburg 1574 nach dem Tode des Fräuleins Maria. Da Jever eine blutende Wunde in der Tradition des Hauses Cirksena war, ist diese Angelegenheit eine der wenigen, in der Edzard selber handelte. Nachdem der Graf Johann VII. von Oldenburg ihn mit der Besetzung Jevers vor vollendete Tatsachen gestellt hatte, denen der Ostfriese außer papierenen Protesten nichts entgegenzusetzen wußte, schloß Edzard 1580 ein geheimes Bündnis mit König Philipp II. von Spanien ab. Dieser brauchte ihn als Widerpart gegen die aufständischen Niederlande, jener verlangte nur das Jeverland, dessen Lehnsherr der König als Herzog von Brabant war. Unmittelbaren Nutzen für den stets geldbedürftigen ostfriesischen Grafen bot nur die geheime Pension, die der spanische König ihm jährlich zahlte.
Die letzten Jahre Edzards sind von den Demütigungen erfüllt, welchen er nach 1595 durch die Stadt Emden und die von dieser zu Hilfe gerufenen Vereinigten Niederlande ausgesetzt war. Ubbo Emmius fürchtete die Übernahme der Herrschaft durch seinen Sohn, was nichts anderes bedeutete, als daß er Edzard für gänzlich unbedeutend ansah.
Walter Deeters
Weitere Porträts:
Der Bruder: Johann der Mittlere (1538-1591)
Als letztes Kind und jüngster Sohn des Grafen Enno II. war Johann verständlicherweise der Liebling seiner Mutter, und schon dieser Umstand mag den Keim zur späteren Zwietracht mit seinem Bruder Edzard II. gelegt haben. Warum ihn dieser auf die Reise nach Stockholm zu seiner Hochzeit mitnahm, ist unbekannt. Dort ging Johann nicht nur unerlaubte Beziehungen mit der Königstochter Caecilia ein, sondern war so dumm, sich dabei ertappen zu lassen. König Gustaf I. Wasa war als Erster einer neuen Dynastie in Ehrensachen besonders empfindlich, und Johann drohte die Todesstrafe. Nur die Fürsprache vieler Potentaten bis zur Königin Elisabeth I. von England rettete ihm das Leben. Manche Zeitgenossen meinten, er sei zur Strafe entmannt worden.
Jedenfalls hat Johann nicht geheiratet. Um so seltsamer muten seine hartnäckigen, von der Mutter geduldeten, Anstrengungen an, auf Grund der von jener 1558 erwirkten kaiserlichen Gesamtbelehnung für alle ihre Söhne eine faktische Teilung der Grafschaft Ostfriesland zu erlangen; hatte er doch keine Nachkommen, denen sein Anteil zu vererben gewesen wäre. Diese Verhaltensweise ist wohl nur aus nicht begründbaren Stimmungen zu erklären.
Johann erhob Klage gegen seinen Bruder Graf Edzard II. vor dem Kaiser, der nach langen Untersuchungen 1589 ihm die Ämter Greetsiel, Leerort und Stickhausen anwies, die er schon lange in Besitz hatte. Daneben hatte er sich ständig in die Regierung des Bruders gemischt, dessen Schwäche das zuließ. Die Folge war eine anhaltende Benachteiligung Ostfrieslands nach außen, eine Stärkung der Landstände und der immer selbstbewußteren Bürgerschaft der Stadt Emden. Schon aus Opposition gegen die erzlutherische Schwägerin bevorzugte Johann das reformierte Bekenntnis und verhalf damit der Spaltung Ostfrieslands in eine reformierte und eine lutherische Hälfte zur Endgültigkeit.
Nahezu unbekannt ist bis jetzt die Frage, wer Johann in allen seinen Handlungen beriet, da ihm eine dem Bruder ähnliche Passivität nachgesagt wird. Sicher scheint zu sein, daß außer dem starken Gefühl weniger Vorsatz seine Taten leitete. Nach Johanns Tod floh sein Rat Dr. Lorenz Holtmann schleunigst zum Grafen von Oldenburg, von dem Graf Edzard II. vergeblich dessen Auslieferung verlangte. Johann ist der letzte Cirksena, der in der Familiengruft in der Großen Kirche in Emden beigesetzt wurde. Bei dieser Gelegenheit war sein Bruder zum letzten Mal in Emden.
Walter Deeters