Auricher Regentinnenporträts: Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft – Auricher Schloss
Die Persönlichkeit wie auch die politische Leistung der Fürstin Christine Charlotte wurden in der bisherigen ostfriesischen Geschichtsschreibung fast ausnahmslos negativ beurteilt. Das ist nicht nur darauf zurückzuführen, daß ihre gesamte 25jährige Regierungszeit von heftigen innenpolitischen Unruhen gekennzeichnet war, sondern vor allem darauf, daß sich Christine Charlotte zu keiner Zeit damit zufrieden gab, die ihr vorgegebene Aufgabe, als landesmütterliche Verwalterin des Erbes ihres minderjährigen Sohnes zu wirken, zu erfüllen. Im Gegenteil wählte sie eine ganz andere Rolle, nämlich die der selbstbewußten und selbständigen Herrscherin, die kompromißlos das Ziel verfolgte, Ostfriesland nach dem modernsten politischen Modell ihrer Zeit, dem Absolutismus, umzugestalten.
Christine Charlotte war eine Tochter des württembergischen Herzogs Eberhard III. aus seiner ersten Ehe mit Anna Dorothea von Salm-Kyrburg. Mit knapp siebzehn Jahren heiratete sie am 10. Mai 1662 den Fürsten Georg Christian von Ostfriesland. In ihrer nur dreijährigen Ehe gebar sie drei Kinder, zwei Mädchen, die noch im Kleinkinderalter starben und schließlich, vier Monate nach dem plötzlichen Tod Georg Christians, einen Sohn, Christian Eberhard. Die Geburt des künftigen Fürsten im Oktober 1665 veränderte Christine Charlottes Leben von Grund auf. Anstatt an der Seite eines regierenden Landesherrn eine fürsorgende und dekorative Rolle zu spielen, bot sich ihr nun die Möglichkeit, in Vormundschaft für ihren Sohn die politische Leitung des Fürstentums selbst in die Hand zu nehmen. Christine Charlotte ergriff diese Gelegenheit selbstbewußt und voller Energie. Von Anfang an galten ihre Bestrebungen dem Aufbau einer starken Zentralregierung. Der Verwirklichung dieser Pläne standen verschiedene Hindernisse im Weg. Dies waren einmal die Ineffizienz und Desorganisation der gesamten fürstlichen Verwaltung, die seit Jahrzehnten auf eine Reform wartete, auf der anderen Seite die rechtlichen Beschränkungen, die ihr die Vormundschaft durch die Bestellung weiterer Mitvormünder auferlegte. Das größte Hindernis waren die Landstände, die, durch die Landesverfassung abgesichert, die beiden Schlüsselbereiche einer absolutistischen Herrschaft kontrollierten: das Steuer- und das Militärwesen.
Christine Charlotte begann ihren Kampf an allen drei Fronten zugleich. Ihren Bestrebungen nach Alleinherrschaft fiel zuerst ihr ostfriesischer Mitvormund, ihr Schwager Graf Edzard Ferdinand, zum Opfer. Ihr Vorgehen in diesem Fall war weder diplomatisch noch elegant. Edzard Ferdinand wurde bei allen Regierungsangelegenheiten gezielt ausgeschlossen, seine anfänglich taktvollen, später auch energischen Versuche, seine Schwägerin in Zaum zu halten, ignoriert. Eine Eskalation dieser innerfamiliären Spannungen, die ab 1667 auch in die Landespolitik überzugreifen drohten, verhinderte nur der überraschende Tod Graf Edzard Ferdinands im Januar 1668.
Ebenso direkt schließlich machte sich Christine Charlotte daran, die Vormachtstellung der Stände zu brechen. Dabei nun wurde schon nach kurzer Zeit deutlich, welche intellektuellen und politischen Fähigkeiten sich in der gerade 20jährigen Fürstin verbargen. Zu ihren Hauptbündnispartnern gehörten zwei weitere Mitvormünder Christian Eberhards, die beiden Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg, Georg Wilhelm in Celle und Ernst August in Hannover, die unter dem von Christine Charlotte immer wieder geschickt verbreiteten Vorwand, ihr Mündel schützen zu müssen, in Wirklichkeit nicht dem Land, sondern, perfekt manipuliert, nur den Zielen der Fürstin selbst nützten. Die heftige Gegenwehr der Stände, die sich ihrerseits mit Truppen versorgten, brachte Ostfriesland mehrfach an den Rand des Bürgerkriegs. Die vielen fremden Truppen belasteten das Land zusätzlich durch lange Einquartierungen, zum Teil auch durch Plünderungen und gezielte Verwüstungen. Die Pläne der Fürstin scheiterten durch Eingriffe von außen. Bis zum Beginn der 1670er Jahre waren es die Niederlande, die traditionellen Schiedsrichter in innerostfriesischen Streitigkeiten, die Christine Charlotte zum Rückzug zwangen. Ihre endgültige Niederlage erlitt sie 1677 aber durch eine Entscheidung des Kaisers, der, von den Ständen angerufen, die ostfriesische Landesverfassung in allen Punkten bestätigte und damit die Fürstin zu einem Vergleich mit den Ständen zwang (8. November 1678).
Christine Charlotte aber nahm ihr Scheitern keineswegs hin. In den nächsten Jahren trieb sie im Innern ihre Reformpläne weiter voran, besonders die Reorganisation der Verwaltung und Gerichte in den fürstlichen Herrlichkeiten. Ihre Regierung stützte sie durch die Annahme vorwiegend nicht-ostfriesischer Beamter und Minister, die, gut bezahlt, den geschulten, fähigen und loyalen Apparat bildeten, der für ihre umfassenden Pläne nötig war. Die demonstrative Neuordnung der fürstlichen Verwaltung verstärkte die Befürchtungen der Stände über den Erhalt ihrer Vorrechte und ließ ihren Widerstand gegen die Fürstin wachsen. Dasselbe Ergebnis hatten die unverhohlenen Versuche Christine Charlottes, ihre Autorität als Landesherrin in Religionsfragen geltend zu machen, indem sie gegen die Einsprüche besonders des calvinistischen Emdens die lutherischen Gemeinden in Leer (Baubeginn der lutherischen Kirche 1675) sowie in Emden selbst förderte.
Bis zur Mitte der 1680er Jahre war die Ablehnung der Stände gegenüber ihrer Landesherrin so stark geworden, daß sie jegliche innenpolitische Zusammenarbeit verweigerten. Stattdessen paktierten sie seit 1683 mit dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Im Spätjahr 1684 verließ Christine Charlotte Ostfriesland, vertrieben von der offenen Feindseligkeit der Stände, die es ihr unmöglich machten, weiterzuregieren. Die nächsten Jahre verbrachte sie in Wien, eifrig und zäh, aber letztlich erfolglos ihren Prozeß um ihre landesherrliche Souveränität führend. 1688 gab der Kaiser dem Drängen der Stände nach und stellte eine vorzeitige Volljährigkeitserklärung für Christian Eberhard aus. Christine Charlotte gelang es indes noch ein ganzes Jahr lang, die Rückkehr nach Ostfriesland und damit ihren offiziellen Rücktritt zu verzögern. Erst im März 1690 überließ sie, seit dem Herbst 1689 wieder in ihr Fürstentum heimgekehrt, die Regierung ihrem Sohn.
Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie, wenn sie nicht auf Besuchsreisen bei ihrem großen Freundes- und Verwandtenkreis war, auf ihrem Witwensitz in Berum, den sie der Mode der Zeit und ihrem Anspruch als regierende Landesherrin entsprechend in barockem Stil hatte ausgestalten lassen. Sie starb im Mai 1699 in Bruchhausen, während eines Besuchs bei der Kurfürstin Sophie von Hannover, ihrer ältesten und engsten Freundin. Die Feindseligkeit ihr gegenüber in Ostfriesland aber war selbst nach der inzwischen neunjährigen Regierungszeit ihres Nachfolgers noch so ausgeprägt, daß sich verschiedene Gemeinden weigerten, den überaus lobenden Text, den ihr Sohn für ihre Leichenpredigt ausgewählt hatte, zu übernehmen.
Ganz anders als von ihren politischen Gegnern wurde Christine Charlotte Zeit ihres Lebens von ihren Freunden und Verwandten beurteilt. Bis in ihr beginnendes Alter hinein galt sie als schön und anmutig, als intelligente und anregende Gesprächspartnerin. Zu ihrer eigenen Familie, an der sie sehr hing, hielt sie engen Kontakt durch regelmäßige Besuche und einen oft täglichen Briefwechsel.
Sabine Heißler