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Buch des Monats September 2025

Storm: Der Schimmelreiter / plattdüts navertellt van Otto Buurman

„De Schimmelrieder“ von Theodor Storm in der plattdeutschen Übersetzung von Otto Buurman


Seit nunmehr zwanzig Jahren wird der September in Ostfriesland zum Plattdüütskmaant: Der Monat steht damit im Zeichen der plattdeutschen Sprache, mit der sich eine Vielzahl von Aktionen und Projekten auseinandersetzt. Ziel ist es, das Ansehen der plattdeutschen Sprache nachhaltig zu verbessern und den Menschen Mut zu machen, die Sprache wieder mehr im Alltag zu nutzen oder sie ganz einfach auszuprobieren. Die Landschaftsbibliothek widmet diesem Anlass ein „Buch des Monats“, das ausnahmsweise auch in plattdeutscher Sprache vorgestellt wird.

Bei dem gewählten Werk handelt es sich um Theodor Storms „Der Schimmelreiter“, das nicht nur ein Meisterwerk der deutschen Literatur ist, sondern durch seine Thematik des Lebens an der Nordsee eine besondere Verbindung zu Ostfriesland aufweist.

Porträtfotografie Theodor Storm
Theodor Storm (Quelle: Storms Werke, Berlin um 1900 | Portraitkatalog Tripota – gemeinfrei)

Der Autor Hans Theodor Woldsen Storm wurde am 14. September 1817 in Husum geboren. Seine Kindheit war geprägt von der spezifischen Atmosphäre der nordfriesischen Küstenlandschaft, die später zum wichtigsten Motiv seines literarischen Schaffens werden sollte. Besonders nachhaltig wirkten auf ihn die plattdeutschen Erzählungen von Lena Wies, vor allem ihre Spuk- und Gespenstergeschichten.

Nach seinem Jurastudium in Kiel und Berlin kehrte Storm 1843 nach Husum zurück und eröffnete seine erste Rechtsanwaltskanzlei. Während der Schleswig-Holsteinischen Erhebung engagierte er sich gegen die dänische Herrschaft, was 1853 zum Entzug seiner Anwaltszulassung führte. Von 1853 bis 1864 lebte er im preußischen Exil, zunächst in Potsdam, dann als Kreisrichter in Heiligenstadt. Diese Zeit der Heimatferne verstärkte paradoxerweise seine Verbundenheit mit der nordfriesischen Landschaft.

1864 kehrte Storm nach Husum zurück, wo er zum Landvogt gewählt wurde. In seinen späten Jahren entwickelte er eine kritische Haltung gegenüber Religion und Gesellschaft. Seine Dichtungen wurden zunehmend illusionsloser, gipfelnd in seinem Meisterwerk „Der Schimmelreiter“ (1888).

Die nordfriesische Küstenlandschaft bildete das eigentliche Thema seiner Dichtung. Während direkte Verbindungen zu Ostfriesland nicht belegt sind, teilt diese Region mit Storms Heimat die charakteristische Küstenlandschaft, die Auseinandersetzung mit den Naturgewalten und die maritime Kultur. Die Themen seiner Werke – der Kampf gegen das Meer, die Deichbauproblematik und das Leben in der Marschlandschaft – sind auch für die ostfriesische Region von eminenter Bedeutung.

Storms Novelle „Der Schimmelreiter“ von 1888 behandelt zeitlose Themen wie Mensch und Natur, Verantwortung und den Kampf gegen die Elemente – Themen, die in der heutigen Diskussion um Klimawandel, Küstenschutz und Nachhaltigkeit eine neue Dringlichkeit erhalten.

Zentrale Figur ist Hauke Haien, dessen visionärer Deichbau nicht nur den Menschen seiner Zeit Schutz bieten soll, sondern auch als langfristige Maßnahme für zukünftige Generationen gedacht ist. „Der neue Deich aber soll trotz solcher hundert und aber hundert Jahre stehen; denn er wird nicht durchbrochen werden, weil der milde Abfall nach der Seeseite den Wellen keinen Angriffspunkt entgegenstellt, und so werdet ihr für euch und euere Kinder ein sicheres Land gewinnen“, lässt Storm seinen Protagonisten verkünden; eine Vision nachhaltigen Küstenschutzes, die auch heute noch wegweisend ist.

Der bestimmende Konflikt der Novelle entfaltet sich auf mehreren Ebenen: dem zivilisatorischen Kampf zwischen menschlicher Kultur und wilder Natur, der sozialen Auseinandersetzung zwischen einem fortschrittlichen Einzelnen und einer konservativen Dorfgemeinschaft sowie dem weltanschaulichen Gegensatz zwischen aufklärerischer Rationalität und Aberglauben. Storm durchzieht die gesamte Erzählung mit dem Gegensatz zwischen Rationalität und irrationalen Elementen.

Porträtfotografie Otto Buurman
Dr. Otto Buurman (Quelle: Bildarchiv der Ostfriesischen Landschaft)

Die moderne Relevanz und Rezeption des Werks in Ostfriesland zeigt sich auch in zeitgenössischen Adaptionen: „Der Schimmelreiter“ wurde beispielsweise am 24. März 2025 in einer Inszenierung des TAG-Theaters Rhauderfehn präsentiert, die in Kooperation mit der Kulturagentur der Ostfriesischen Landschaft im historischen Ständesaal aufgeführt wurde.

Was liegt also näher als eine Übertragung des Werkes ins Plattdeutsche? In Ostfriesland nahm sich Otto Buurman (1890-1967) dem Projekt an, der vor allem für sein zwölfbändiges hochdeutsch-plattdeutsches Wörterbuch auf der Grundlage der ostfriesischen Mundart bekannt, das zwischen 1962 und 1975 erschien.

Eine erste und Ende 1966 von Buurman abgeschlossene Manuskriptfassung „Der Schimmelreiter. Plattdüts navertellt“ liegt im Archiv der Landschaftsbibliothek. Diesem wohl vor allem aus Kostengründen unveröffentlichten Manuskript haben sich im Jahr 2013 Carl-Heinz Dirks, Hans-Hermann Briese und Manfred Briese angenommen und es im Emder Diesel-Verlag neu und nun auch erstmals unter dem plattdeutschen Titel „De Schimmelrieder“ verlegt.

Seit Ende 2024 ist das Plattdüütskbüro der Ostfriesischen Landschaft nun damit beschäftigt, basierend auf Buurmans Grundlagenarbeit den „Schimmelreiter“ neu ins aktuelle Plattdeutsch zu übertragen. Anlass dazu boten Gespräche mit dem Regionalen Landesamt für Schule und Bildung über geeignetes Unterrichtsmaterial für das Unterrichtsangebot Niederdeutsch für die neunten und zehnten Klassen. Da der „Schimmelreiter“ nach wie vor als Schullektüre für die Sekundarstufe 1 empfohlen wird, beschloss das Plattdüütskbüro, das Manuskript von Otto Buurman nicht nur an die aktuell gültige Rechtschreibung für das ostfriesische Platt anzupassen, sondern ebenso die plattdeutsche Sprache im Manuskript zu aktualisieren. Buurmans Enkelsohn, Prof. Dr. Gerhard M. Buurman, erteilte dem Plattdüütskbüro die Rechte zur Übertragung.

Die für Mitte 2026 geplante Herausgabe der Neuübersetzung des Plattdüütskbüros macht Storms Meisterwerk dann nicht nur für eine neue Generation ostfriesischer Schülerinnen und Schüler zugänglich, sondern unterstreicht zugleich die besondere Aktualität der Novelle in einer Region, die wie kaum eine andere täglich mit den Herausforderungen des Klimawandels und des Küstenschutzes konfrontiert ist – und zeigt damit, wie ein über 130 Jahre altes Werk durch die lebendige plattdeutsche Sprache seine wesentliche Botschaft von menschlicher Verantwortung gegenüber Natur und Zukunft in der ostfriesischen Kulturlandschaft fortsetzt.

Heiko Suhr

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