Fürst Christian Eberhard (1665-1708) liest die erste wissenschaftliche Zeitschrift
– Die Ausgaben des „Journal des Sçavans“ in der Landschaftsbibliothek (1665-1775) –
Ein besonderer Schatz der Landschaftsbibliothek sind die historischen Bände aus der alten fürstlichen Bibliothek der Cirksena, die hier nur deshalb überliefert sind, weil der 1751 eingesetzte erste preußische Regierungspräsident Christoph Friedrich von Derschau (1714-1799) als sehr gebildeter Mensch auch eine bibliophile Neigung hatte. Da von Derschau erst fünf Jahre nach der 1746 erfolgten öffentlichen Versteigerung der fürstlichen Bibliothek als Regierungspräsident nach Aurich kam, hat er die 410 Bände, die aus seinem Besitz als Fragment der Fürstenbibliothek in der Landschaftsbibliothek überliefert sind, vermutlich gezielt von Auricher Beamten erworben. An einigen dieser Titel dürfte er aber nicht nur ein bibliophiles, sondern auch ein gesteigertes inhaltliches Interesse gehabt haben. Dazu gehören auch die ersten Nummern des „Journal des Sçavans“, der ersten wissenschaftlichen Zeitschrift Europas. Sie stellt heute eine wichtige Quelle dar für den Übergang der wissenschaftlichen Korrespondenz zwischen einzelnen Wissenschaftlern zum medienbasierten Wissenstransfer.
Das Journal wurde erstmalig 1665 in Paris veröffentlicht und erscheint mit Unterbrechungen tatsächlich bis heute. Erster Herausgeber ist Denis de Sallo (1626-1669), Autor, Rezensent und Parlamentsrat in Paris, der, wie er im Vorwort zur ersten Ausgabe schreibt, vor allem literarische Neuerscheinungen vorstellen und über neue Entwicklungen in den Wissenschaften berichten wollte. Ein wichtiges Mittel zur Verdeutlichung der Inhalte waren daher Abbildungen, die in den ersten Jahrgängen durchweg als sehr anschauliche technische und naturwissenschaftliche Darstellungen vorhanden sind. Das Journal des Sçavans war so erfolgreich, dass es bald auch in Brüssel, Amsterdam und Köln gedruckt wurde. Die Adressaten waren zu Beginn vor allem in den Salons der gehobenen gesellschaftlichen Schichten zu finden. Zwar richtete sich insbesondere der Klerus gegen die Zeitschrift, weil dieser Wissenschaft und Aufklärung bekämpfte. Aber Jean-Baptiste Colbert (1619-1683), der Finanzminister Ludwigs XIV, protegierte das Journal des Sçavans. Für ihn war die Förderung von Wissenschaft und Literatur ein integraler Bestandteil einer Politik, die Frankreich zu einem internationalen Macht- und Handelszentrum machen sollte.
In der Landschaftsbibliothek steht eine vollständige Ausgabe des Journals der Jahrgänge 1665 bis 1775. Druckort der Hefte ist in der Regel Amsterdam. Es sind aber auch aus Brüssel stammende Hefte darunter. Die ersten etwa 50 Jahrgänge bis 1717 stammen aus dem durch von Derschau überlieferten Bestand der fürstlichen Bibliothek. Die prächtigen Bände im kleinen Quartformat sind nach dem Stil der fürstlichen Kabinettsbibliothek in rotes Maroquin-Leder gebunden und zeigen als Supralibros die goldgeprägte Cirksena-Harpyie, Goldprägungen auf Deckel und Rücken und Goldschnitt auf dem Buchblock. Auf dem Titelblatt der ersten drei Bände findet sich der handschriftliche Vermerk „Ch. Eb. P. F. O.“: Christian Eberhard Princeps Frisiae Orientalis. Der als tolerant und klug eingeschätzte Fürst Christian Eberhard (1665-1708) hatte selbst in Ostfriesland ein so großes persönliches Interesse an dieser wissenschaftlichen Zeitschrift, dass er dafür Sorge trug, eine vollständige Ausgabe in seine Kabinettsbibliothek einstellen zu können und die ersten drei Bände auch persönlich signierte.
Ganz anders sehen die Jahrgänge 1717 bis 1775 aus, die in der Landschaftsbibliothek nur im Buchblock, unbeschnitten, fadengeheftet und mit einem Schutzumschlag versehen überliefert sind. Als Sammler könnte von Derschau in seinem Streben nach Vollständigkeit diese schlichten Ausgaben antiquarisch erworben, aber doch nicht genug geschätzt zu haben, um sie auch aufwändig einbinden zu lassen. Diese Jahrgänge tragen einen Titelzusatz, der auch Artikel verspricht, die in den Pariser Ausgaben nicht enthalten seien. Heute dokumentieren diese insgesamt etwa 400 historischen Zeitschriftenbände aus der Bibliothek von Derschau Wissenschaftsgeschichte.
Dietrich Nithack