• J. D. Müller: Ostfriesische Tauf- und Eigen-Namen - Titelblatt

Buch des Monats Juni/Juli 2024

Müller: Os[t]friesische Tauf- und Eigennamen

Os[t]friesische Tauf- und Eigen-Namen

– gesammelt als Standesbeamter und beim hiesigen Magistrate vom Jahre 1874 an von J. D. Müller, Bürgermeister [Aurich 1874-um 1880] –

Porträt Johann Diedrich Müller
Johann Diedrich Müller als Bürgermeister von Aurich (Quelle: Bildarchiv der Ostfriesischen Landschaft)

Johann Diedrich Müller (1809-1881) ist vor allem als Kaufmann und Auricher Bürgermeister bekannt. So erinnert noch heute der Bürgermeister-Müller-Platz am Georgswall an ihn, für dessen Benennung sein Enkelsohn eine stattliche Summe spenden sollte. Dass der durchaus heimatverbundene Müller sich aber auch Verdienste um den Erhalt ostfriesischer Namen gemacht hat, wurde bisher noch nicht gewürdigt.

In den Beständen der Landschaftsbibliothek hat sich ein Manuskript erhalten, das auf insgesamt 77 Seiten Tauf- und Eigennamen aufführt, die Johann Diedrich Müller ab 1874 und wohl bis kurz vor seinem Tod in alphabetischer Reihenfolge zusammengetragen hat.

Müller sah sich dabei laut seines einleitenden Textes in der Tradition des Predigers Peter Friedrich Reershemius, der 1786 seinen „Versuch der Erklärung einiger Tauf- und Eigen-Namen, welche in Ostfriesland anitzo gebräuchlich sind“ veröffentlicht hatte. Dieses „Heftchen“ habe er in der Bibliothek der Ostfriesischen Landschaft einsehen dürfen. Als weiteres Vorbild nennt Müller dann Bernhard Brons (1831-1911), der 1877 sein Buch „Friesische Namen und Mittheilungen darüber“ publiziert hatte. Darin habe der Autor ausdrücklich den Wunsch geäußert, weitere Namen zu sammeln und zu veröffentlichen. Diesem Wunsch kommt Johann Diedrich Müller mit seiner Sammlung dann offensichtlich nach.

Innerhalb der alphabetischen Liste kennzeichnet Müller die Entwicklung einzelner Vornamen durch veränderte Schreibweisen, Lautverschiebungen, modische Einflüsse wie Diminutive oder patronymische Umformungen der Vor- zu Nachnamen. Auch Fremdnamen, die aus anderen Sprachräumen im Laufe der Zeit für den ostfriesischen Gebrauch entlehnt worden sind – wie z.B. Heiligennamen – berücksichtigt Müller, da diese oft im Laufe der Zeit so sehr umgestaltet und angepasst wurden, dass sie kaum noch von einheimischen Namen zu unterscheiden waren. Als Beispiel sei der heute nahezu unbekannte Taufname Cirk genannt, der der ostfriesischen Häuptlings- und Fürstenfamilie den Sippennamen Cirksena gab, der aber eigentlich eine ostfriesische Kurzform zum Namen des heiligen Cyriacus darstellt. Müller notiert dazu: Cirk, Cyriacus, Cirksena, Cirks.

J. D. Müller: Ostfriesische Tauf- und Eigen-Namen - Eintrag Cirk - Cyriacus - Cirksena - Cirks

Johann Diedrich Müller war 1809 als Sohn des Müllers und Kaufmanns Jeldrich Hoissen Müller in Aurich zur Welt gekommen. Dem Vater gehörte ab 1793 die älteste Auricher Mühle, eine Ständermühle auf der Nordost-Bastion. Nach allerlei Schwierigkeiten unter niederländischer und französischer Besatzung entschied sich Müller 1812 zum Verkauf seiner erst 1806 völlig neu errichteten Mühle. Ab 1820 betrieb er schließlich in seinem Wohnhaus am Marktplatz ein Kolonialwarengeschäft mit Spirituosenhandel.

Der „Tausendsassa“ Müller übernahm in seiner Funktion als ehrenamtlicher Senator am 30. Juni 1868 die Geschäfte als Bürgermeister, da der bisherige Amtsinhaber nach Oppeln versetzt worden war. Müller galt fortan zwar als aussichtsreichster Kandidat auf das Bürgermeisteramt, die Ernennung erwies sich jedoch als äußerst schwierig, da es einerseits einige Gegenstimmen aus der Auricher Bürgerschaft gab. Andererseits verlangten die übergeordneten Instanzen einen ausgebildeten Juristen. Müller stimmte schließlich zu, seine Selbständigkeit – er hatte das väterliche Geschäft übernommen – aufzugeben, um fortan mit voller Arbeitszeit zur Verfügung zu stehen und vor allem finanziell nicht in Abhängigkeit zur Bürgerschaft zu stehen. So wurde er am 27. Mai 1870 schließlich in sein Amt eingeführt. Johann Diedrich Müller verstand es trotz aller Bedenken schnell, sich in Aurich beliebt zu machen. Er galt auch aufgrund seiner Vorliebe fürs Plattdeutsche als äußerst heimatverbunden und volksnah. Als loyaler Untertan Kaiser Wilhelm I. war er u.a. für die Umbenennung der Langenstraße in die Wilhelmstraße (1871), eine viel beachtete Rede anlässlich der Feierlichkeiten zum ersten Sedantag (1871) und für die Enthüllung des Gefallenendenkmals zur Erinnerung an den Krieg 1870/1871 und die anschließende Festrede (1877) verantwortlich. Müller verstarb schließlich noch während seiner Amtszeit am 24. August 1881 in Aurich.

Neben diesen vielen beruflichen Pflichten konnte Müller seine Vorliebe für schöngeistige Beschäftigung nie ganz ausleben. Immerhin verhalf er zunächst seinem Bruder Fooke Hoissen Müller (1798-1856) zu literarischen Weihen. Dessen Spät- und literarisches Hauptwerk „Tjark Allena“, worin das Schicksal eines ostfriesischen Marschbauern beschrieben wird, war erst kurz vor seinem Tod fertig geworden. Veröffentlicht wurde es posthum durch Johann Diedrich im Jahr 1857 unter dem Titel „Döntjes und Vertellsels in Brookmerlander Taal“.

Johann Diedrich Müllers Wirken als Bürgermeister ist in Aurich heute nahezu in Vergessenheit geraten. Nur über den nach ihm benannten Platz am Georgswall ist er in seiner Geburtsstadt noch heute sichtbar. Aber seine akribisch zusammengestellte Namensliste sollte nicht in Vergessenheit geraten, da sie einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der ostfriesischen Kultur und Identität leistet. Auch im Rahmen der aktuell geführten Debatte um das ab Mai 2025 gültige ostfriesische Namensrecht gewinnt dieses Heftchen wieder deutlich an Gewicht, taugt es doch durchaus als Vorlage dafür, wie einzelne weibliche oder männliche Vornamen in ihrer patronymischen Form aussehen können.

Heiko Suhr

J. D. Müller: Ostfriesische Tauf- und Eigen-Namen - Buchstabe A (Beginn)J. D. Müller: Ostfriesische Tauf- und Eigen-Namen - Buchstaben Y und Z

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