Vom Volksschullehrer zu einem der bedeutendsten Ostfriesen des 20. Jahrhunderts
– Jann Berghaus erzählt. Lebenserinnerungen von Jann Berghaus, Aurich 1967 –
Ein unscheinbares und zudem erst 1967 publiziertes Werk als „Buch des Monats“ zu würdigen, mag bei all den Kostbarkeiten aus der Frühzeit des Buchdrucks, die in der Landschaftsbibliothek verwahrt werden, verwundern. Auf dem Buchumschlag sieht man einen älteren Herrn in pastoral-predigender Haltung, der von dem Buchtitel „Jann Berghaus erzählt“ schon fast kontrastiert wird. Aus dem Titel ergibt sich dann auch schon der Gegenstand und die Art des Buches. Es handelt sich um die Lebenserinnerungen des Volksschullehrers, Auricher Regierungspräsidenten und ersten Nachkriegspräsidenten der Ostfriesischen Landschaft Jann Berghaus. Am 18. Februar 2024 jährte sich sein Todestag zum siebzigsten Mal, sodass Berghaus‘ anhand seiner Lebenserinnerungen biografisch gedacht werden soll. Diese sind 1967 von seiner Tochter Siever Johanna Meyer-Abich (1895-1981) herausgegeben worden und basieren auf Jann Berghaus‘ eigenen hand- und maschinenschriftlichen Aufzeichnungen.
Jann Janssen Berghaus kam am 19. August 1870 in kleinbürgerlichen Verhältnissen in Schirum zur Welt. Dem Leben in wirtschaftlicher Not überdrüssig, entschieden Jann Berghaus‘ Eltern sich bald für eine Auswanderung nach Amerika, wo drei seiner Tanten bereits lebten. Schon während der Überfahrt bekam die Mutter allerdings so starkes Heimweh, dass sie gemeinsam mit dem kleinen Jann wieder nach Schirum zurückkehrte und bei ihren Eltern Unterschlupf fand. Die Ehe wurde daraufhin geschieden.
Schon in der Volksschule in Schirum entschied Berghaus sich, Lehrer werden zu wollen. Nach Ende der Volksschule und einem Jahr in der Landwirtschaft erschloss sich für ihn der Weg zur Präparandenanstalt. 1887 schloss er diese Zeit ab und erwarb sich kurz vor seinem 17. Geburtstag die Zulassung zum Lehrerseminar in Aurich. Nach drei Jahren – im Februar 1890 – standen die Prüfungen an, die Berghaus alle mit Erfolg meisterte und damit die Befähigung zum Volksschullehrer erwarb.
Jann Berghaus‘ Berufsleben als Lehrer wurde geprägt von Tätigkeiten an drei Schulstellen im Nordwesten der ostfriesischen Halbinsel. Zunächst war er von April 1890 bis Juli 1893 zweiter Lehrer an der zweiklassigen Schule in Werdum. Es folgte eine Stelle als (einziger) Lehrer an der Schule in Oldeborg bis Ende März 1903 und schließlich ab Anfang April 1903 die wohl prägendste Stelle als zunächst kommissarischer und ab 1. Dezember 1903 auch als regulärer Rektor der Schule auf Norderney. Dort brachte Berghaus schnell frischen Wind in den Schulalltag und wurde fortan auch mit allerlei Sonderaufgaben betraut. Er bearbeitete u. a. den Band für die Oberschule des Ostfriesischen Lesebuchs.
Der Erste Weltkrieg sollte die Weichen für Jann Berghaus noch mal völlig neu stellen. Ab Oktober 1914 unterstützte er den neuen Bürgermeister und saß ab 1916 selbst im Gemeindeausschuss. Kurz vor Kriegsende – im Mai 1918 – gab Berghaus sein Schulamt auf und ließ sich schließlich auf Norderney zum Bürgermeister wählen.
Zum 16. September 1922 wurde Jann Berghaus dann etwas überraschend zum Regierungspräsidenten für den Regierungsbezirk Aurich ernannt. Die Entscheidung für Berghaus war ein taktischer Schachzug, stand doch mit dem gebürtigen Ostfriesen erstmals ein Einheimischer an der Spitze der Verwaltung. Als von ihm hauptsächlich bearbeitetes Themengebiet nennt Berghaus in seinen Erinnerungen den Wasserbau, u. a. den Deichbau vom Emder Außenhafen bis zur Knock oder die Errichtung des Schöpfwerks in Borssum.
Im Rahmen des sog. Preußenschlags wurde Jann Berghaus als aktiver Förderer der Weimarer Demokratie zum 28. Oktober 1932 zwangsweise in den Ruhestand verabschiedet. Ihm folgte der westpreußische Verwaltungsbeamte Gustav Bansi, der als Mitglied der DNVP viel weiter rechts zu verorten war und als promovierter Volljurist – anders als Berghaus – über die notwendige fachliche Qualifikation verfügte. Den erzwungenen Ruhestand verbrachte Jann Berghaus nun in seinem Auricher Domizil in Abgeschiedenheit und Ruhe, die er auch zur Abfassung seiner Memoiren verwendete und damit gleichzeitig den Terror der NS-Herrschaft für sich verarbeitete.
Dass Jan Berghaus‘ kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus bekannt war, wird auch daran deutlich, dass er bald nach Kriegsende als Übergangslösung wieder Regierungspräsident werden sollte. Am 13. Juni kehrte aber sein Sohn Dr. Mimke Berghaus (1899-1955) nach Aurich zurück und übernahm das Amt. Mimke Berghaus übernahm in Ostfriesland bald das politisch-administrative Zepter, aber durchaus in der Tradition seines Vaters. So titelten die noch unter alliierter Regie publizierenden Nordwest-Nachrichten über einem Bild von Vater und Sohn Berghaus metaphorisch „Wir beseitigen den Schutt“. Damit sei – so ließen sich Jann und Mimke Berghaus zitieren – auch die Säuberung der Verwaltung von „Nazi-Elementen“ gemeint.
Jann Berghaus erhielt noch vor Jahresfrist 1945 vom Oberpräsidium aus Hannover seinerseits einen bedeutungsvollen Auftrag. Er wurde zum vorläufigen Vorsteher der Ostfriesischen Landschaft benannt und hatte diese demnach „verfassungsgemäß“ weiterzuführen. Zu seinen Aufgaben gehöre aber auch die Entnazifizierung der landschaftlichen Organe, der Landschaftsräte und der Landschaftsversammlung.
Die Ostfriesische Landschaft sollte nach der auf einer außerordentlichen Landschaftsversammlung am 22. Oktober 1949 angenommenen Verfassung berufen sein, „heimatliche Aufgaben aus Vergangenheit und Gegenwart in Ostfriesland“ zu erfüllen und zu fördern. Sie sei ferner die „Hüterin der friesischen Überlieferung“ und hatte dazu Verbindungen „zu Friesen innerhalb und außerhalb des ostfriesischen Gebietes“ zu halten. Dazu organisierte Berghaus ab 1950 den Ostfriesentag am Upstalsboom. Außerdem war er tatkräftig an den internationalen Friesenkongressen beteiligt, die ab Mai 1950 ebenso am Upstalsboom stattfanden.
Auch politisch spielte Jann Berghaus in der Nachkriegszeit wieder eine Rolle. Dem von der britischen Militärregierung ernannten ersten Landtag in Hannover gehörte er für die FDP als Mitglied an und eröffnete als Alterspräsident Ende 1946 sogar die erste Sitzung.
Am 18. Februar 1954 verstarb nach langem und erfolgreichem Wirken für seine ostfriesische Heimat Jann Berghaus nach kurzer Krankheit im 84. Lebensjahr. Dem ostfriesischen Brückenbauer wurde die Ehre zuteil, dass sowohl die zweite, zwischen 1948 und 1950 als auch die dritte, zwischen 1989 und 1991 zwischen Leerort und Bingum errichtete Brücke nach ihm benannt wurde. Außerdem sind nach Jann Berghaus in Aurich und Wittmund sowie auf Norderney und Borkum Straßen benannt. Sein literarisches Erbe sind die von seiner Tochter herausgegebenen Lebenserinnerungen. Mögen diese auch in ihrem Grundton fast ins Kitschige gehend positiv dargestellt sein und damit den Titel „Jann Berghaus erzählt“ im Sinne eines großen ostfriesischen Märchens durchaus bestätigen, so bleiben sie doch ein lebendiges Zeugnis von einem der bedeutendsten Ostfriesen des 20. Jahrhunderts.
Heiko Suhr