Das Schachbuch Herzog Augusts von Braunschweig-Lüneburg von 1616 war das erste deutschsprachige Fachbuch über das Spiel der Könige
– Das Schach- oder König-Spiel … in vier unterschiedene Bücher … abgefasset. Auch mit dienlichen Kupfer-Stichen gezieret … Diesem ist … angefüget ein sehr altes Spiel genandt Rythmo-Machia, Leipzig 1616 –
Schach ist nicht nur das bekannteste strategische Brettspiel und dazu als Sportart anerkannt, sondern auch von großer kultureller Bedeutung. Viele bedeutende Gelehrte haben sich dem Spiel der Könige gewidmet, so der oberitalienische Dominikaner Jacobus de Cessolis im 14. Jahrhundert oder der spanische Priester Ruy López de Segura im 16. Jahrhundert.
In die Reihe dieser Gelehrten ist auch August II. von Braunschweig-Wolfenbüttel – August der Jüngere – (1579-1666) aufzunehmen. Er gilt als einer der gelehrtesten Fürsten seiner Zeit und entwickelte schon in jungen Jahren ein starkes Interesse an Handschriften und Büchern. Seine Sammelleidenschaft führte in Wolfenbüttel zur Gründung der für die damalige Zeit größten Bibliothek Europas: die heutige Herzog August Bibliothek.
In den Jahren von 1598 bis 1600 war August mehrfach in Italien und soll dort das Schachspiel durch praktische Anschauung erlernt haben. Ab 1604 näherte er sich in seiner Residenz in Hitzacker dem Spiel wohl auch durch theoretische Studien, was ihm aber nur anhand spanischer, italienischer oder französischer Literatur möglich war. So muss sich August entschieden haben, sein gemeinhin als erstes deutschsprachiges Schachbuch geltendes Werk zu verfassen. Genauer wäre es eigentlich, den Fürsten als Autor des ersten Fachbuchs über das Spiel der Könige zu bezeichnen, denn schon rund drei Jahrhunderte vor ihm gab es deutschsprachige Manuskripte, die sich aus allegorischer Sichtweise mit dem Schachspiel befassten. Der eingangs erwähnte Jacobus de Cessolis hatte diese Kunstform vor 1330 ins Leben gerufen und das Schachspiel als Sozialmetapher verstanden. Sein lateinisches Manuskript übertrug dann Heinrich von Beringen ins Mittelhochdeutsche.
Augusts Buch ist schließlich 1616 nach einigen Schwierigkeiten – ein Augsburger Verleger war abgesprungen – unter dem Pseudonym Gustavus Selenus in Leipzig erschienen. Verleger war Henning Große der Jüngere (1582-1622), gedruckt wurde das Werk bei Lorenz Kober.
Augusts Werk ist als sein Versuch zu interpretieren, Schach als wissenschaftliche Disziplin zu verorten. Das Buch stellt dazu Regeln und Figuren vor und befasst sich überwiegend mit Eröffnungsvarianten. Diesen Hauptteil hat der Fürst aber nicht selbst verfasst, er hat lediglich ein bekanntes spanischsprachiges Schachbuch des Priesters Ruy López de Segura ins Deutsche übertragen.
Schon der Kupferstich des Titelblatts, nach genauen Angaben des Herzogs 1616 gefertigt, gibt erste Hinweise auf das Selbstverständnis des Autors. Dargestellt ist die Legende von Palamedes, der nach damaligem Wissensstand im Trojanischen Krieg das Schachspiel erfunden haben soll. Oben ist deutlich der griechische Heros in seinem Kriegszelt beim Schachspiel zu erkennen, während im Hintergrund das Trojanische Pferd herangerollt wird.
Auffallend ist weiterhin die sehr aufwendige Gestaltung des Buches. So stammt der Kupferstich des Titels vom Augsburger Kupferstecher Lucas Kilian (1579-1637). Herausragend ist aber vor allem ein doppelseitiger Kupferstich des Straßburger Kupferstechers Jacob van der Heyden, der in vielen Exemplaren fehlt, aber z.B. in demjenigen der Landschaftsbibliothek überliefert ist. Zu sehen ist Herzog August – rechts im Bild -, der in eine Schachpartie gegen Landgraf Moritz den Gelehrten von Hessen-Kassel vertieft ist. Beide Kupferstecher haben für das Schachbuch weitere Stiche angefertigt, u.a. von einzelnen Schachfiguren und Schachnotationen, sind aber auch mit Porträts von August dem Jüngeren hervorgetreten; van der Heyden schon 1606, Kilian u.a. 1621, 1626 und 1630.
Das Schachbuch ist heute nur in wenigen Bibliotheken verfügbar. Das Exemplar der Landschaftsbibliothek ist in Schweinsleder gebunden und mit Blindprägungen geschmückt. Anhand mehrerer Eintragungen im Buch ist auch die Provenienz lückenlos ermittelbar. Ein gewisser Tobias Gloger hat es dem Mediziner Christoph Neander geschenkt; in die Landschaftsbibliothek kam es dann aus dessen Besitz mit der Derschau-Bibliothek, dessen Wappen als Exlibris im Innendeckel zu sehen ist.
Die Landschaftsbibliothek verfügt außerdem über eine bedeutende Sammlung von Schachbüchern – etwa achthundert Titel -, die aus dem Nachlass von Arthur Siebert (1911-1994) stammen. Siebert wurde in Kiew geboren und verbrachte den Großteil seiner Jugend in Riga. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er als Postbeamter u.a. in Nordenham tätig, bevor er nach Aurich umzog. Neben seiner beruflichen Tätigkeit widmete sich Siebert vor allem dem Schachspiel. Er war 1982/1983 Vereinsmeister des Schachclubs Aurich, 1984/1985 dann auch Stadtmeister. Nach dem Tod Sieberts verblieb die Bibliothek noch einige Jahre in Familienbesitz, wurde dann aber 2019 dem Ulricianum Aurich vermacht, wo sie in Teilen im Selbstlernzentrum interessierten Schülerinnen und Schülern zur Verfügung stand. Seit 2021 ist diese Bibliothek nun als Teil des Depositums des Ulricianums in der Landschaftsbibliothek untergebracht.
Heiko Suhr