„Durch den Scharf-Richter öffentlich in unserer Residenz-Stadt Aurich am Pranger zu verbrennen“
– Die Bücherverbrennung in Aurich 1733 –
Am 29. Januar 1733 wurden auf dem Auricher Marktplatz auf Befehl Fürst Georg Albrechts drei Bücher durch den Scharfrichter öffentlich am Schaffott verbrannt. Das erinnert natürlich unmittelbar an die Bücherverbrennungen im Frühjahr 1933 und die aktuellen Koranschändungen in Schweden und Dänemark. Die Verbrennung oder Zerstörung von Büchern ist also keine Erfindung der Moderne. 1515 wurde Johannes Hus als Ketzer verbrannt und zugleich wurden auch seine Schriften öffentlich ins Feuer geworfen. Vor allem im letzten Drittel des 17. bzw. der ersten Hälfte des 18. Jhs. wird von vielen „Hinrichtungen“ unliebsamer Bücher durch Henker berichtet, weil Herrscher zeigen wollten, dass ihre absolute Macht vermeintlich ausreichte, die Freiheit des Denkens in ihren Territorien zu unterbinden.
Den Hintergrund für die Auricher Bücherverbrennung 1733 bildet der „Appellekrieg“ 1726 bis 1727 mit seinen bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Fürstenhaus und den ostfriesischen Ständen. Fürst Georg Albrecht von Ostfriesland (1690-1734) und sein absolutistisch gesinnter Kanzler Enno Rudolph Brenneysen (1669-1734) suchten nach Möglichkeiten, die Stände in ihrer Macht zurückzudrängen. Seit 1720 entwickelten sich aus einem zunächst publizistisch und juristisch geprägten Streit um die Steuerhoheit bewaffnete Auseinandersetzungen, aus denen die fürstliche Partei am Ende siegreich hervorging. Trotz ihrer Niederlage gelang es Emden und den Ständen aber durch den politischen Druck der Vereinigten Niederlande als Schutzmacht und die Einbeziehung des Kaisers in Wien, eine „Amnestie“ für die „Renitenten“ zu erzwingen. Letztlich wurden weitgehend die politischen Verhältnisse in Ostfriesland der Jahre vor 1720 beibehalten. Der militärische Sieg hatte sich für Fürst Georg Albrecht bis 1732 in eine politische Niederlage gewandelt.
Der „Appellekrieg“ wurde im Kampf um die öffentliche Meinung durch einen „Federkrieg“ begleitet: Von 1720 bis 1733 wurden in diesem Propagandastreit insgesamt vermutlich um die 100 Flugblätter, Druckschriften und Bücher publiziert. Hinzu kamen noch viele „Stachelgedichte“, also Spottgedichte, die „die erhitzen Gemüther noch mehr in Flammen setzten“. Der größte Anteil der Drucke stammt von fürstlicher Seite, dafür wenden sich die Schriften der Landstände bewusst auch an ein niederländisches Publikum. In der Landschaftsbibliothek in Aurich ist aus den Akten der Landstände ein vermutlich beinahe vollständiger Bestand der Drucke erhalten geblieben. Schon der Landsyndikus und Historiker Tilemann Dothias Wiarda konnte für seine Beschreibung dieser Auseinandersetzung auf dieses Konvolut zurückgreifen. Es besteht aus mehreren großen Folianten und einer Lose-Blatt-Sammlung und füllt einen halben Regalmeter.
Am Ende dieser letzten großen Auseinandersetzung zwischen ostfriesischen Landesfürsten und Landständen steht die Hinrichtung der drei „infamen, schandlosen Bücher“ am 29. Januar 1733 in Aurich. Ihr Verbrechen bestand darin, für eine breite Öffentlichkeit von Amsterdam bis Wien den Ansprüchen und Rechtspositionen des Fürstens und seines Kanzlers zu widersprechen. Das erste Buch mit dem Titel „Der Heeren Generaal-Staaten Recht en Interesso op Emden en Oostvriesland, beschreven door Johann Diederich Warendorp, Koopman in Amsterdam“ behauptet berechtigte Interessen der benachbarten niederländischen Generalstaaten an der Stadt Emden und wurde 1727 mit einem Autorenpseudonym in Amsterdam gedruckt.
Das zweite Buch, „Emdens Recht en Onschuld, tegens alle onwaere Beschuldigingen bewesen en verdeedigt“, wurde 1728 anonym in Haarlem publiziert. Autor sei, so Wiarda, der Sekretär der Stadt Emden, Mentetus Haikens. Die Veröffentlichung des dritten Buchs „Historia nostri temporis […]“ von Ubbo Emmius, das bis dahin nur als Manuskript kursierte und 1732 in Groningen durch Jacob Isebrand Harkenroth in Druck gebracht wurde, muss für den Kanzler Brenneysen die Spitze der Provokation gewesen sein. Brenneysen hatte wie kein anderer die von Ubbo Emmius begründete Tradition des legitimen Widerstands gegen die ostfriesischen Grafen bzw. Fürsten bekämpft.
Am Ende der Auseinandersetzung und bereits angesichts seiner politischen Niederlage verurteilte Fürst Georg Albrecht am 29. Januar 1733 diese Bücher dazu, wegen der Verbreitung von „aufrührerischen, unverschämten“ Unwahrheiten und der Herabwürdigung seiner Person vernichtet zu werden. Die Urteilsverkündung erfolgte unter freiem Himmel auf der Auricher Schlossbrücke, „woselbst die Todesurtheile der Missethäter öffentlich vorgelesen und jedermann bekannt gemacht“ werden. Bei der sich direkt anschließenden Urteilsvollstreckung waren Amtmann Stürenburg und Bürgermeister Ennen zugegen. Die Bücher wurden dem „Rachrichter übergeben, folgends die Execution auf dem Schavvott aufm Markt mittelst Einsteckung der 3 Libellen nach einander in das zu dem Ende von dem Schinder angelegte Feuer“ vollzogen.
Die öffentliche Exekution war natürlich auch eine symbolische Aggression gegen die Renitenten, aber vor allem ein Beweis der fürstlichen Ohnmacht. Es blieb aber nicht die letzte Bücherverbrennung in Ostfriesland. Im Juni 1933 fand in Norden wieder eine Bücherverbrennung statt. Nach dem Vorbild Berlins und anderer deutscher Universitätsstädte sammelte die Norder Hitlerjugend im Juni 1933 in den Norder Haushalten alle „undeutschen“ und „entarteten“ literarischen Werke und Bücher „marxistisch-jüdischer, jesuitischer und freimaurerischer Tendenz“ ein, um sie bei einer Sonnenwendfeier in Tidofeld vor großem Publikum zu verbrennen.
Paul Weßels