Die Landschaftsbibliothek in Aurich verfügt in ihrer Manuskripte-Sammlung über ein mehrbändiges Werk von sehr heterogenem Charakter. Es handelt sich um das „Sammelwerk Ostfriesland“ von Hermann Eggen aus der zweiten Hälfte der 1930er Jahre.
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Autor
Der Autor, geboren 1875 in Aurich und gestorben 1944 auf Norderney, war seit 1899 Lehrer auf der Insel und betrieb hier zusammen mit seiner Frau seit 1909 auch eine Pension. Wenige Monate nach dem Machtwechsel 1933 entstand im Zuge der Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums eine Diskussion um die Linientreue von vier Lehrern auf Norderney. Regierungspräsident Refardt sah schließlich aber nur Hermann Eggen als belastet an. Von ihm sei „ortsbekannt“, dass „er bisher im demokratisch-pazifistischen Fahrwasser segelte“. Daran ändere auch eine mit „grossem Aufwand von unnatürlichem Pathos“ verfasste, an die neue Regierung gerichtete Ergebenheitserklärung nichts, „die als begeisterte Verherrlichung der nationalen Bewegung aus dem Munde dieses bisher begeisterten Verehrers der Systemherrschaft den üblen Eindruck der Unaufrichtigkeit, politischen Unzuverlässigkeit und eigennützigen Zweckabstimmung erwecken musste.“ Eggen wurde u. a. vorgeworfen, die schwarz-weiß-rote Flagge, die gerade erst wieder zur Reichsflagge erhoben worden war, als „Mörderfahne“ bezeichnet zu haben. „Es wäre weiten Kreisen der gerecht denkenden Bevölkerung unfassbar, wollte man dem kühnen Schwenkungsmanöver des Eggen ernsthaften Wert beimessen.“ Dementsprechend kam der N.S.-Personalausschuss Mitte August zu dem Schluss, dass man Eggen einen anderen Dienstort zuweisen solle. Dieser hatte aber schon eine Woche zuvor um seine vorzeitige Pensionierung nachgesucht und ein ärztliches Attest vorgelegt. Als Grund führte er neben einem körperlichen Leiden auch an, dass seine Gesundheit „durch aufregende Vorfälle, welche der Regierung bekannt sein dürften,“ in diesen Wochen sehr gelitten habe.
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Bände
Drei Jahre später, im Sommer 1936, nimmt Eggen die Arbeit an seinem „Sammelwerk Ostfriesland“ auf, eine umfangreiche Collage zusammengestellt in 11 Mappen. Ergänzend dazu liegen in etwa 20 Ordnern noch weitere Zeitungsausschnitte und nach Themen geordnetes Material für den Zeitraum bis 1943 vor. Die Arbeit war also noch nicht abgeschlossen. Eggen hatte den Anspruch, „heel Ostfreesland“ mit allen Regionen abzubilden, sowohl die typische friesische Landschaft in ihrem „Werden und Wesen“ als auch den typischen Friesen mit seinem „Wesen und seiner Geschichte“. Der erste Band enthält kein Vorwort, keine Einführung. Aber zum Auftakt findet sich im Innendeckel das Gedicht von Harbert Harberts „Die friesische Heimat“ mit dem darin hervorgehobenen Spruch „Lever dood as Slav!“.
Nachdem im ersten Heft ein buntes Kaleidoskop von ostfriesischen Themen abgebildet ist, folgen in den nächsten Jahren bis mindestens 1938 zehn weitere, stärker thematisch geordnete Bände. Das Themenkonzept der Reihe entwickelte sich wohl erst mit ihrer Entstehung und wird nicht strikt durchgehalten, es kommt zu Überschneidungen und Wiederholungen. Die Themen sind breit gewählt: Bodengestaltung, Pflanzenwelt, Biographien von verdienten ostfriesischen Persönlichkeiten, die Inseln, Städte und die sie umgebenden Regionen, aber auch Landwirtschaft, Tierzucht, Schifffahrt, Fischerei, Handel und Wirtschaft, Plattdeutsch, Dichtung, Kunst und Heimatpflege werden thematisiert. Die letzten beiden Bände widmen sich dem Schwerpunkt der Landes- und „Heimat“-Geschichte.
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Inhalt
Das Material besteht aus vielen ausgeschnittenen Abbildungen aus Zeitungen, Zeitschriften und Büchern mit und ohne Bildunterschriften. Ausgeschlachtet werden neben den monographischen Veröffentlichungen von Dodo Wildvang sowie weiteren einschlägigen Autoren insbesondere ein Bildband zu Ostfriesland von Hinrich Santjer aus dem Jahr 1932 und der Ostfreeslandkalender – insbesondere der Jubiläumskalender 1938. Um „Platz zu sparen“ sind die Quellen für die Ausschnitte häufig weggelassen worden: „Hoffentlich werden die Verfasser so mancher prächtiger Heimatbücher mir nicht verübeln, wenn ich ihre Werke mit der Schere zerschnitten habe, um Teile derselben an solchen Stellen meiner Sammlung zu verwerten, wo sie unbedingt erforderlich waren.
Verwendung fanden neben den Zeitungsartikeln auch ostfriesische Bild-Postkarten, private Fotos und häufiger auch aus kleinen Broschüren ausgeschnittene und neu zusammengesetzte Textteile oder ganze Artikel. Ergänzt wird dieses Material durch einige handschriftliche Zeugnisse, Feldpostkarten des Ersten Weltkriegs, Briefe und Anschreiben. Dabei ist eine insgesamt sehr bilderlastige Mischung aus historischer Sachinformation, Objektfotografie und Fotoimpressionen einerseits sowie andererseits aus Gedichten, fiktionalen Texten, Holzschnitten, Scherenschnitten, Radierungen etc. entstanden. Alles wirkt insgesamt sehr „heimattümlich“ und gibt einen subjektiven Ausdruck des „Zeitgeistes“ vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Ostfriesland wieder.
Das Material ist in selbst erstellte Mappen eingeklebt worden, die etwa das DIN-A4-Format haben und mit einfacher Fadenheftung mit unterschiedlicher Seitenzahl gebunden sind. Der Einband besteht aus dunkelgrauem, leicht marmoriertem festem Papier, die Seiten innen sind aus braunem Papier, wie man es auch für ein Fotoalbum erwarten könnte. Die Deckel der Mappen sind dem jeweiligen Thema entsprechend unterschiedlich gestaltet.
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Idee
Hermann Eggen verzichtet bei der Zusammenstellung seiner Bilder- und Artikelausschnitte weitgehend auf eine eigene Beschriftung und Kommentierung. Er lässt das Material für sich sprechen, wohl auch um einen zu „privaten“ oder beiläufigen Charakter zu vermeiden. Denn im Grunde möchte der ehemalige Lehrer mit seinem „Sammelwerk“ eine allgemeingültige „Heimatkunde“ etwas anderer Art präsentieren, die sich ausdrücklich auch an mögliche Leser richtet. Am Ende seines ersten Hefts findet sich ein eigentlich für andere Zwecke verfasstes Geleitwort von Schulrat Schader, das Eggen explizit für sich in Anspruch nimmt. Rot unterstrichen ist darin ein Zitat von Eduard Spranger: „Atmen wir mit Bewußtsein den Duft dieser Scholle! […] Der Weg zum Menschentum führt nur über das Volkstum und das Heimatgefühl.“ Heimat wird hier als „geistiges Wurzelgefühl“ beschrieben, als „erlebte und erlebbare Totalverbundenheit mit dem Boden“ und „Quelle reinen Glückes“. Eggen eignet sich einen Ostfriesland romantisch überhöhenden und zugleich von der Blut- und Boden-Ideologie der Nationalsozialisten gefärbten Heimatbegriff an, der dem Betrachter und Leser auf jeder Seite der Alben entgegentritt. Durchsetzt ist diese Melange von einigen Hitlerzitaten und ergänzt wird sie durch eine Art von positivistischer Leistungsschau der Nazi-Herrschaft seit 1933. Der letzte Band stellt Adolf Hitler als Endpunkt einer historischen Reihe vor, die von Friedrich II. über Bismarck und Hindenburg reicht. Die Mappe endet mit einem Zeitungsausschnitt mit dem ganzseitigen Porträt des Führers und der Bildunterschrift „Adolf Hitler ist Deutschland, und Deutschland ist Adolf Hitler“. Die Demontage des Rechtsstaats, die Verteufelung des politischen Gegners, die Diskriminierung der Juden werden völlig ausgeblendet. Vielleicht wollte Eggen die Zweifel seines Norderneyer Umfeldes an seiner nazistischen Gesinnung zerstreuen, die es im Sommer 1933 noch gegeben hatte. Er hinterlässt den Eindruck eines schließlich zutiefst überzeugten Nationalsozialisten, was fatal ist, weil er in seinem Anpassungsprozess sicherlich typisch ist für einen großen Teil seiner Generation.
Die einzelnen Bände in Ausschnitten
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Ostfreesland 1
Heimatkultur
Ostfreesland 2
Natur
Ostfreesland 3
Menschen
Ostfreesland 4
Inseln
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Ostfreesland 5
Binnenorte
Ostfreesland 6
Küstenorte
Ostfreesland 7
Südliches Ostfriesland
Ostfreesland 8
Wirtschaft
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Ostfreesland 9
Kultur
Ostfreesland 10
Geschichte bis 1744
Ostfreesland 11
Geschichte seit 1744
Weitere Ausstellungen
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Die ostfriesischen Cirksena
Eine Zusammenstellung der Porträts aus dem Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft und dem Auricher Schloss mit weiteren Bildern und den Texten aus dem biographischen Lexikon für Ostfriesland
Propagandaflugblätter des Zweiten Weltkriegs
Eine Ausstellung der Sammlung von Gerd Rokahr, Esens