Wer sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus in Ostfriesland beschäftigen möchte, kommt an der Ostfriesischen Tageszeitung nicht vorbei. Sie war als Partei-Kampfblatt mit einem „bedingungslosen Bekenntnis zum Führer“ gegründet worden und dieser Linie nie untreu geworden. Die OTZ bietet deshalb Perspektiven auf die politische Geschichte und Alltagsgeschichte, auf Gleichschaltung, Parteiaktivitäten und Aktivitäten der Parteigliederungen der NSDAP sowie auf ihren ideologischen Schulungs- und Erziehungsanspruch.
Die OTZ wurde im Oktober 1932 angesichts sinkender Zustimmung zur Partei und der bevorstehenden Reichstagswahl im November dieses Jahres gegründet. Mitte September 1932 hatte, so heißt es, Gauinspekteur Jaques Bauermann Groeneveld in einer Sitzung der ostfriesischen Kreisleiter in Emden die Gründung der Ostfriesischen Tageszeitung beschlossen. Nachdem die Gauleitung die neue ostfriesische Parteizeitung bei einem zweiten Treffen Ende September 1932 in Leer gebilligt hatte, konnte die erste Nummer zum 1. Oktober 1932 erscheinen. Erscheinungs- und Druckort war zunächst Aurich, und hier und in der Krummhörn fand man in den ersten Monaten auch die meisten Leser.
Die wirtschaftliche Situation der OTZ war 1932/33 noch sehr prekär. Das neue Unternehmen musste sich zunächst bei seinem Lohndrucker Dunkmann in Aurich verschulden. Zur Aufrechterhaltung des Betriebs war man auf Spenden angewiesen, und es hätte zu Beginn des Jahres 1933 wohl zum Zusammenbruch des Unternehmens kommen können, wenn die NSDAP die Wahlen im Januar 1933 nicht gewonnen hätte. Aber mit der Machtübernahme durch die NSDAP änderte sich ab Februar 1933 die Lage grundlegend. Auch in Ostfriesland wurden im Zuge der Gleichschaltung Zeitungsverlage zur Beseitigung unliebsamer Konkurrenz geschlossen. Allein im Jahr 1933 verschwanden mindestens vier Tageszeitungen vom Markt, und bis 1943 wurden acht weitere Tageszeitungen eingestellt.
Das Konzept der OTZ war von vornherein darauf angelegt, nicht nur Parteiorgan zu sein, sondern als echte Tageszeitung in Konkurrenz zu den anderen Presseorganen zu treten. Deshalb gab es die Ressorts Innenpolitik, Außenpolitik, Heimat und Sport. Nachrichten über die Berliner politischen Verhältnisse bezog man von einer dafür autorisierten Agentur. Ab 1933 erschien die OTZ mit Heimatnachrichten für ganz Ostfriesland. Mit der Einführung verschiedener Beilagen erfolgten auch eine Anpassung an den Unterhaltungsanspruch von Tageszeitungen und der Anschluss an alte Traditionen der Heimatbewegung. Regionale Beilagen nannten sich „Aus der Heimat“, „Aurich und Umgebung“, „Aus dem Harlingerland“, „Norden-Krummhörn“ oder „Emden Stadt und Land“. Ab 1936 erschien die „Heimatbeilage für Leer und Reiderland“. Thematische Beilagen waren bis zum Kriegsbeginn „Ostfriesische Sippenforschung“, „Ostfriesische Bauernschaft“, „Am Feierabend“, „Aus der Arbeit“, „Aus der Heimat“, „Die deutsche Frau“ und „Ostfriesische Hitlerjugend“.
Auf den ersten OTZ-Herausgeber Jaques Groeneveld folgte im Frühjahr 1933 Gauinspekteur Erich Drescher aus Leer, und im Oktober 1933 wurde der vorherige Chefredakteur und Emder Kreisleiter Menso Folkerts „Hauptschriftleiter“ der OTZ. Seit 1934 wurde die OTZ auch in Emden gedruckt, aber zum 1. Mai dieses Jahres verlor sie ihre Selbständigkeit und wurde Teil des NS-Gauverlags Weser-Ems. Gauleiter Carl Röver fungierte als ehrenamtlicher Treuhänder des NS-Gauverlags. Unter diesem Dach hatte man im Frühjahr 1934 vier Parteizeitungen in einem Verlag zusammengeführt: Neben der OTZ waren das die Bremer Zeitung, die Oldenburgische Staatszeitung und der Wilhelmshavener Kurier.
Wohl schon 1933 wurde der „Allgemeine Anzeiger für Ostfriesland“ mit Sitz in Leer mit der OTZ vereinigt. Zugleich wechselte die Zeitung ihren Standort von Aurich nach Emden, wo man mit politischer Unterstützung in das ehemalige Landratsamt einzog, das 1932 nach der Auflösung des Landkreises Emden zur Verfügung stand. Und man beerbte die Ende 1930 aufgegebene Emder Zeitung in ihren Rechten. Um die wirtschaftliche Basis der OTZ weiter auf Kosten der altetablierten ostfriesischen Tageszeitungen zu verbessern, wurde sie noch 1933 gegen den ausdrücklichen Widerstand der Konkurrenzblätter zum alleinigen Amtsblatt für Ostfriesland bestimmt. Seit 1936 breitete sich die OTZ mit regionalen Ausgaben weiter in Ostfriesland aus. Zum Ende des Jahres 1935 wurde das Leerer Anzeigeblatt zwangsweise mit der OTZ vereinigt. Das Geschäftsgebäude der Druckerei Zopfs wurde Zweiggeschäftsstelle der OTZ in Leer. Weitere solche Geschäftsstellen befanden sich in Aurich, Norden und Esens. Ab dem 17. März 1938 gab es bei der OTZ eine Bezirksausgabe Emden-Aurich-Norden-Harlingerland und eine Bezirksausgabe Leer-Reiderland. Ab Mitte des Jahres 1942 wechselte man wieder zu einer einheitlichen Ausgabe für Gesamtostfriesland, um ab dem 1. September 1943 erneut auf drei Teilausgaben umzuschwenken.
Das ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass in der Nacht auf den Sonntag, 7. Juni 1942, das Emder Verlagsgebäude mit Redaktion und Druckerei in der Blumenbrückstraße bei einem Luftangriff schwer getroffen wurde. Die Ausgabe vom Montag, 8. Juni 1942, wurde deshalb wieder in Aurich in der Lohndruckerei Dunkmann produziert. Zum 3. Mai 1943 hatte man dann in der Norderstraße in Leer in der früheren Druckerei der Firma Zopfs einen „Notbetrieb“ mit einer in Emden geretteten großen Druckerpresse und 5 Setzmaschinen neu eingerichtet. Seitdem wurde die OTZ bis zum Kriegsende dort gedruckt.
Die vier Zeitungen des NS-Gauverlags Weser-Ems hatten im Oktober 1942 zusammen eine Gesamtauflage von über 100.000 Exemplaren. Damit wurde der Verlag zum größten Zeitungsunternehmen des deutschen Nordwestens. Hatte die Auflage der OTZ in Ostfriesland zum Ende des Jahres 1932 nur bei etwa 2.500 Exemplaren gelegen, so war diese bis 1936 auf 22.808 gestiegen, davon 9.535 mit der Heimatbeilage Leer. 1937 überstieg die Zahl der Abonnenten bereits 24.000, 1939 mehr als 28.000, und bis 1942 soll die Auflage nach Angaben der Zeitung auf über 41.000 Exemplare angewachsen sein.
Originalbestände der OTZ sind ausschließlich in ostfriesischen Museen und Bibliotheken vorhanden. Die Überlieferung ist aber relativ schlecht, und der sehr fragile Zustand der Zeitungsbände verbietet eine Vorlage der Originale für Leser. 2018 wurde deshalb ein Pilotprojekt für die Digitalisierung der Jahrgänge 1940 bis 1942 der OTZ von Landschaftsbibliothek, Stadtarchiv Leer und Landesbibliothek Oldenburg umgesetzt, und derzeit gibt es ausgehend von der Landschaftsbibliothek in Aurich Bestrebungen, die OTZ bald möglichst umfassend digital zur Verfügung zu stellen.
Paul Weßels