Eine interessante kurzlebige Blüte auf der reichen Wiese der ostfriesischen Publikationen des 19. Jahrhunderts ist der „Fürsprecher“. Eine Zeitschrift, die 1848 bei der Druckerei Zopfs in Leer produziert wurde und nur zwei Ausgaben als Beilage im Ostfriesischen Amtsblatt erlebt hat. Herausgeber ist der Heseler Dorfschullehrer Hinrich Janssen Sundermann (1815-1879), der den Ostfriesen vor allem als Reformpädagoge und Organisator des ostfriesischen Lehrerstandes im Gedächtnis geblieben ist. Sundermann war aber als Publizist und Herausgeber auch einer der führenden politischen Köpfe der Revolution des Jahres 1848 in der Region. Er wurde vor allem zum Sprachrohr der Kleinbauern und Kolonisten.
Sundermann trieb im Revolutionsjahr die Idee der ostfriesischen Volksversammlungen des dritten Standes in der Tradition der Treffen am Upstalsboom voran, die auch in einer Serie von Ostfriesland übergreifenden „patriotischen Versammlungen“ in Eschen bei Aurich mündeten, wo auch politische und gesetzgeberische Maßnahmen zur Minderung der Not der Kleinbauern und Kolonisten gefordert wurden. In Hesel hatte Sundermann das Elend der Kolonisten vor Augen. Er förderte die Selbstorganisation in Kolonistenversammlungen in Firrel und Schwerinsdorf und einen vereinten Marsch der Kolonisten Ende März 1848 zum Amtmann nach Stickhausen und zum Domänenpächter auf Kloster Barthe.
Vor diesem Hintergrund ist die Herausgabe des „Fürsprechers“ zu sehen, dessen erste Nummer als kostenlose Beilage mit dem Amtsblatt für die Provinz Ostfriesland vom 23. Mai 1848 verteilt wurde. Sundermann macht sich mit dem „Fürsprecher“ zum Anwalt, Vorkämpfer und Verteidiger der Interessen der ländlichen Unterschicht. Das Blatt ist der erste Versuch in Ostfriesland, deren soziale Nöte öffentlich zu diskutieren.
„Der Fürsprecher“ sollte in unbestimmten Abständen unentgeltlich als Beilage zum Amtsblatt erscheinen, um eine weitestmögliche Verbreitung zu ermöglichen. Zunächst sollte aber „nichts besprochen, sondern nur einfach mit Thatsachen vor’s Volk getreten“ werden. Es sollten Beiträge abgedruckt werden, die auf „Missbräuche, Ungesetzlichkeiten, Ungerechtigkeiten, Bedrückungen und Lasten hinweisen und auf alles, was Abhilfe schaffen“ könnte. Die Autoren konnten anonym bleiben, mussten der Redaktion aber namentlich bekannt sein. So wollte Sundermann eine „moralische Macht“ zur Abstellung von sozialen und gesetzlichen Übelständen erzeugen, an denen man sich mit Petitionen aus den Volksversammlungen vergeblich abarbeitete.
Für die Finanzierung des Drucks schlug Sundermann vor, dass die Einsender selber für ihre Beiträge eine geringe Gebühr zahlten. Die erste Ausgabe hatte noch ein „Herr von …n“ durch die Spende eines Reichstalers ermöglicht. Da damit nicht die Druckkosten des achtseitigen Hefts gedeckt werden konnten, steuerte Sundermann den Rest aus eigenem Budget bei und bat um weitere Spenden.
Thema des ersten Hefts war der Abdruck des preußischen Urbarmachungsedikts, „das die Ostfriesen sich haben aufdringen lassen“. 83 Jahre sei es „in Anwendung gebracht, ohne die Zustimmung der Ostfr.[iesischen] Stände und also Gültigkeit zu haben.“ Mit dem Abdruck wollte er den Geestbauern und Kolonisten Zugang zu der rechtlichen Basis verschaffen, auf der der Staat – nach Ansicht Sundermanns widerrechtlich – Ansprüche auf Land in den zu teilenden Gemeindeweiden erhob. Zugleich verband er damit die Forderung auf Abschaffung oder Modifikation des laut Sundermann ohnehin immer nur mangelhaft umgesetzten Edikts.
Die zweite, nur halb so umfangreiche und letzte Ausgabe des Fürsprechers vom Juni 1848 war dem Amtsblatt für die Provinz Ostfriesland vom 20. Juni 1848 beigelegt. Im Hauptartikel wird zunächst das Protokoll der Ständischen Verhandlungen in Aurich im Mai 1848 kommentiert und dieser von einem führenden Teilnehmer der Eschener Volksversammlung das Misstrauen ausgesprochen.
Die in vielen Aspekten immer noch christlich-konservative Grundhaltung Sundermanns wird mit dem Abdruck in einem zweiten Beitrag des „Fürsprechers“ deutlich. Unter der Überschrift „Ein Wort über Judenemanzipation“ macht ein Autor deutlich, dass man zwar nichts gegen „Religionsfreiheit“, wohl aber etwas gegen die völlige gesetzliche und politische Gleichstellung der Juden einzuwenden habe. Denn der Staat an sich sei ein christlicher Staat und die Kluft zum Judentum darin unüberbrückbar.
Sundermann scheiterte aber mit seinem Anliegen, die ländlichen Unterschichten mit dem „Fürsprecher“ zu mobilisieren und zu politisieren. Nach nur sechs kurzen Beispielen für staatliche Missverwaltung in Kolonistensachen zum Ende der ersten Ausgabe, wird dieser zentrale Themenbereich auch in der zweiten Folge in nur drei kleinen Abschnitten zur Sprache gebracht. Damit war zugleich auch das Finanzierungsmodell für diese Publikation gescheitert, und das Heft fand keine Fortsetzung.
Paul Weßels